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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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das würde geschehen, wenn seine Befürchtungen über die Magdalena sich bewahrheiten sollten –, dann würde Innozenz sich von ihm abwenden. Für einen Mann, der ein solches Wissen über die innersten Geheimnisse der Kirche besaß wie Oldrich, war das gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Innozenz hasste es, im Unrecht zu sein, und das machte Oldrichs Entscheidung, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen, so paradox: Er musste verhindern, dass er mit seiner eigenen Warnung Recht behielt.
    Eine Niederlage konnte der Papst verwinden, nicht aber den Mann, der ihn allein durch seine Präsenz täglich daran erinnern würde. Oldrich hatte schon andere Ratgeber des Heiligen Vaters unerwartete Tode sterben sehen, nur weil sie Zeuge gewesen waren, wie Innozenz sich geirrt hatte. Sie wurden Opfer plötzlicher Krankheiten und Gebrechen, die niemand hatte voraussehen können – außer die Giftmischer des Papstes in ihren geheimen Palastkellern.
    Was aber Violante von Lerch betraf … Tatsächlich schwelte die Wut noch immer in ihm, selbst nach all den Jahren. Als Oldrich ihren Namen im Zusammenhang mit diesem Kreuzzug gehört hatte, war das wie ein Schlag gewesen.
    Dennoch – er hatte die richtige Entscheidung getroffen. So oder so. Für die Kirche, für den Papst und vor allem für sich selbst. Nur wenn es ihm gelänge, diesem ganzen Wahnsinn vorzeitig ein Ende zu bereiten, würde er wieder ruhig schlafen können.
    Oldrich zog einen schweren Beutel mit Gold unter seinem Gewand hervor und legte ihn in die bleiche Klaue des Bethaniers. Ungezählt verschwand die Belohnung im Dunkeln.
    »Erzählt mir alles«, sagte der Bethanier tonlos.
    Oldrich suchte nach Worten, während die Augen im Schatten seine Ängste sezierten.

Violantes Plan
     
    Saga verbrachte die Tage eingeschlossen in der Kutsche. Nach dem Zwischenfall mit dem Soldaten der Burgwache hatte man zwar darauf verzichtet, sie zu knebeln, wie Violante es angedroht hatte. Aber die Aufmerksamkeit ihrer Bewacher war deutlich geschärft. Wenn der Zug eine Rast machte, wurde sie hinter die nächsten Büsche geführt, danach aber gleich wieder eingesperrt. Die Zofen der Gräfin brachten ihr Essen – Brot und Käse, gelegentlich etwas Braten –, manchmal kam aber auch Gunthild und schob ihr die Ration zwischen den Gitterstäben hindurch. Die Nonne zeigte nach wie vor ein sonderbares Interesse an ihr, teils Abscheu, teils Faszination. Saga war daran gewöhnt, eine Jahrmarktsattraktion zu sein – sich allerdings anstarren zu lassen wie einen dreiköpfigen Hund war dann doch ein wenig zu viel für sie. Abwechselnd beschimpfte sie Gunthild oder tat, als bemerke sie sie gar nicht.
    Auch andere schauten ab und an verstohlen durchs Fenster, Söldner, die ihre Pferde wie zufällig neben den Wagen lenkten und einen Blick herein riskierten. Manche musterten sie, als hätten sie Angst vor ihr. Saga konnte sich kaum vorstellen, dass das allein an den drakonischen Strafen lag, die Violante androhte, für den Fall, dass jemand das Wort an sie richtete. Saga hatte das seltsame Bedürfnis, sich bei dem Soldaten zu entschuldigen, der ihretwegen die Stockschläge bekommen hatte, doch der war längst zusammen mit den anderen Burgwachen umgekehrt. Die Kutschen wurden jetzt von Zinders Söldnern bewacht, die zu beiden Seiten des Zuges lange Reihen bildeten und aufmerksam hinaus in die Wälder starrten. Saga versuchte sie zu zählen, doch ihr Blickfeld war aus den Wagenfenstern heraus zu stark eingegrenzt. Dreißig waren es mindestens, alle beritten; vermutlich eher mehr.
    Von Gräfin Violante sah und hörte sie tagelang nichts. Sie war froh darüber. Während des Gesprächs am Lagerfeuer war die Gräfin ganz anders gewesen, als Saga sie sich nach all den Wochen ihrer Gefangenschaft vorgestellt hatte. Das war gefährlich. Sie wollte kein Mitgefühl für ihre Entführerin empfinden, wollte sie schon gar nicht mögen. Violantes Fernbleiben gab ihr jetzt die Gelegenheit, zurück zu ihrem alten Hass zu finden; die Erinnerung an die Ohrfeigen taten ein Übriges.
    Sie dachte oft an Faun, der gefangen war wie sie selbst, aber nichts von den wahren Gründen ahnte. Wäre es besser gewesen, sie hätte vor der Verliestür stillgehalten und ihn nicht auf sich aufmerksam gemacht? Jetzt war er sicher ganz verrückt vor Sorge um sie, zusätzlich zur Ungewissheit über sein eigenes Schicksal. Einen Gefallen hatte sie ihm damit wohl kaum getan.
    Aber es führte zu nichts, sich darüber den Kopf zu zermartern.

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