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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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keinen Laut zu verursachen. Die Soldaten bemerkten es noch immer nicht. Vier Schritte, fünf Schritte lagen jetzt zwischen ihm und den bewaffneten Männern.
    Der Vogt bückte sich und hob seine Mütze vom Boden auf.
    Nikolaus folgte der Bewegung nur mit den Augen – dann holte er aus und schlug dem vorgebeugten Mann mit aller Kraft auf den Hinterkopf. Ein Stöhnen ging durch die Menge, eine Magd schrie auf. Mit einem Keuchen ging der Vogt zu Boden, fiel mit all seinem Gewicht in den Staub des Burghofs und lag nun zu Füßen des Kindes, als hätte dieses ihn mit einem Schwertstreich gefällt.
    Der Junge wirkte ebenso überrascht wie alle anderen. Er starrte auf den Vogt am Boden, dann auf seine Faust mit dem blutigen Verband. Sein Gesicht glänzte von Tränen, aber es flössen keine neuen nach. Verblüfft registrierte er, dass er gerade einen Erwachsenen – und keineswegs irgendeinen Erwachsenen – niedergeschlagen hatte.
    Er fuhr herum und rannte stolpernd zurück in den Palas. Vergessen war die Hinrichtung, vergessen der Grund der Auseinandersetzung. Nikolaus floh vor den fassungslosen Blicken der Masse, vor seiner eigenen Verwirrung.
    Der Vogt fluchte lautstark, hielt sich den Kopf und versuchte, sein beträchtliches Gewicht zurück auf die Füße zu wuchten. Ein Dienstbote kam ihm zu Hilfe, ein zweiter folgte.
    Rückwärts gehend erreichte Faun die Treppe, die hinauf zu den Zinnen führte. Viele der Menschen auf dem Hof erwachten aus ihrer Erstarrung. Irgendwo lachte jemand leise, ein anderer stimmte mit ein. Die angespannte Stimmung schlug um, und dass nun der Vogt mit hochrotem Gesicht zu brüllen begann und wütend in alle Richtungen gestikulierte, tat ein Übriges. Niemand in seiner unmittelbaren Nähe verspottete ihn offen, doch an den Rändern des Hofs machte sich die Heiterkeit mehr und mehr Luft.
    Faun hatte drei Viertel der Stufen erklommen, als die beiden Soldaten sein Verschwinden bemerkten. Einer schaute sich um und alarmierte mit seinem Fluch den anderen.
    Faun sprang die letzten Stufen hinauf und erreichte den Wehrgang. Wandte sich nach links und raste an den Zinnen entlang. Auf der anderen Seite bildeten die Burgmauer und die Steilwand des Lerchberges einen schwindelerregenden Abgrund. Dahinter, weit in der Ferne, verschmolzen Wald und Hügelland zu einem blauen Schimmer, wurden eins mit dem wolkengetupften Sommerhimmel. Faun hätte alles gegeben, um jetzt irgendwo dort am Horizont zu sein, weit entfernt von dieser Burg und dem ganzen Irrsinn, der ihn seit Wochen nicht mehr losließ.
    Er sprintete an den Zinnen vorüber, tauchte unter den Armen eines Wächters hindurch, umrundete auf einer hölzernen Balustrade einen der Wachtürme und war nun auf der vorderen Mauer, zwei Mannslängen oberhalb des Burgtors. Hier versperrten ihm gleich zwei Soldaten den Fluchtweg, aber nur einer hatte sein Schwert gezogen. Bei ihrem Versuch, Faun entgegenzulaufen, behinderten sie sich gegenseitig.
    Es war eine verbreitete Sitte, die Wachleute der kleineren Burgen zu unterschätzen. Das einfache Volk machte sich gern über sie lustig, galten sie doch als zu dumm für höhere Posten, zu faul für handfeste Feldarbeit und zu überheblich, um Mitleid für ihre langen Stunden auf zugigen Zinnen zu erregen.
    Dennoch taten die beiden Soldaten ihr Bestes. Siegessicher nahmen sie Faun auf dem Wehrgang in die Zange, während vom Hof Rufe heraufschallten. Faun versuchte es mit demselben) Trick wie vorhin: in die eine Richtung antäuschen, in die andere vorpreschen. Hinter ihm holte der dritte Wachmann auf, den er eben erst ausgetrickst hatte.
    Der eine Soldat bekam ihn am Arm zu fassen. Der andere zielte mit dem Schwert in seine Richtung, stieß aber nicht zu. Faun schlug um sich und fühlte sich von dem stärkeren Mann hinterrücks umschlungen und hochgerissen. Dadurch hatte er plötzlich beide Beine frei, zog sie an und trat sie mit aller Kraft in die Richtung des Bewaffneten. Der hatte mit einem Fluchtversuch, aber nicht mit Gegenwehr gerechnet, bekam den Tritt genau vor die Brust und fiel hinterrücks vom Wehrgang.
    Der zweite Mann, der Faun noch immer festhielt, kam durch den Aufprall ins Schwanken, taumelte zwei Schritt zur Seite, musste sich abstützen und ließ Faun dabei los. Der rammte ihm die Ferse auf die Zehen und stürmte weiter. Hinter ihm stieß der fluchende Mann mit dem dritten Soldaten zusammen. Sie brauchten nicht lange, um ihre Arme und Beine zu sortieren, aber Faun schenkte das einen Vorsprung von

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