Herrin der Lüge
bin kein Lügner«, sagte er.
Der Junge gab sich keine Mühe, seine Wut zu verbergen. Er ballte die kleinen Fäuste. Blau und grün zeichneten sich die Adern unter seiner dünnen Haut ab.
»Ich will, dass du’s mir beibringst«, verlangte er.
»Wenn ich’s könnte, würde ich es tun.«
»Dann tu’s gefälligst!«
Fauns Blick huschte nervös von einem Soldaten zum anderen. Langweile las er in ihren Gesichtern, aber keine Spur von Anteilnahme. Nicht gut, dachte er. Gar nicht gut.
»Versteht doch, Herr«, versuchte er es noch einmal, »ich könnte einfach behaupten, dass ich Euch alles beibringe. Und was dann? Ihr würdet schnell genug herausfinden, dass das tatsächlich eine Lüge war. Und dann würdet Ihr mich zu Recht bestrafen.«
»Siehst du!«, rief der Junge begeistert und klang nun wahrhaftig nicht mehr wie ein Kind. »Du gibst es also zu! Du kannst lügen!«
»Ich –«
Nikolaus sprang auf ihn zu, und für einen Augenblick glaubte Faun tatsächlich, der Kleine wolle eine Rauferei mit ihm anfangen. Doch der Grafensohn blieb eine Armlänge vor ihm stehen, stemmte die Hände in die Seiten und sah ihn trotzig an.
»Du machst mich zu einem Lügner«, sagte er, »oder du stirbst.«
Faun sagte nichts.
»Also?«
»Ich könnte es versuchen –«
Der Kleine stieß einen Jubelruf aus und drehte sich im Kreis.
»– aber es hätte keinen Zweck.«
Nikolaus holte aus und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.
Fauns Schädel flog zurück. Sein Hinterkopf prallte gegen die Wand. Für drei, vier Herzschläge verschwamm die Umgebung. Als er wieder sehen konnte, erkannte er, dass Nikolaus blutete. Die weiße Haut seines Handrückens war an Fauns Wangenknochen aufgeplatzt.
Der Junge stand da und kreischte vor Überraschung und Wut, vielleicht auch vor Schmerz.
Die Soldaten stürmten heran, einer packte Faun am Oberarm und riss ihn vom Boden. Der andere beugte sich über Nikolaus und wollte die Wunde begutachten.
»Lass das!«, schrie der Junge und stieß ihn von sich. Ein roter Handabdruck blieb wie ein Emblem auf dem Wams des Mannes zurück.
Der Soldat, der Faun gepackt hielt, ließ seine Lanze fallen und zog mit der freien Hand seinen Dolch. Faun spürte kalten Stahl an seiner Kehle.
»Herr?«, fragte der Soldat mit einem Blick zu Nikolaus.
»Was?«, keifte der Junge.
»Soll ich … ich meine, wollt Ihr, dass er stirbt?«
Nikolaus erstarrte, seine Augen wurden groß und rund. Die Frage kam nicht unerwartet, aber einmal ausgesprochen schien sie ihn doch zu überrumpeln. »Dass er stirbt?«, wiederholte er dumpf.
»Ja, Herr.«
Der Blick des Kleinen fiel wieder auf seine Verletzung. Er hatte die Linke auf den rechten Handrücken gepresst. Dünne Blutfäden sickerten zwischen den Fingern hervor. Sein Gesicht wurde noch blasser, seine Unterlippe begann zu zittern.
»Du hast mich verletzt«, flüsterte er fassungslos in Fauns Richtung, so als sei dies völlig undenkbar.
»Herr, ich habe nicht –«
»Halt’s Maul!«, befahl der Soldat und presste den Dolch noch fester gegen Fauns Hals.
Nikolaus nahm die linke Hand herunter. Faun wunderte sich, dass aus derart heller Haut so viel Blut fließen konnte. Es war eine harmlose Platzwunde, wie Kinder sie sich laufend zuzogen. Nikolaus hob jetzt die Hand vor die Augen und betrachtete sie von allen Seiten. Dann presste er sie sich auf den Mund und saugte das Blut aus der Wunde. Der Soldat runzelte missbilligend die Stirn.
»Herr, Eure Wunde muss versorgt werden.«
Nikolaus achtete nicht auf ihn. Gedankenlos schmierte er das eigene Blut übers Kinn und die Wangen. Bald sah sein Kindergesicht aus wie eine scheußliche Maske. Und noch immer saugte er an der geplatzten Haut und starrte über die Hand hinweg ins Leere.
»Er soll sterben«, sagte er schließlich. Seine Mundpartie glänzte vor Blut, sogar seine Vorderzähne waren rot. »Aber nicht hier unten.«
Die Klinge blieb an Fauns Kehle, schnitt aber nicht in die Haut.
»Eine richtige Hinrichtung«, sagte der junge, und jetzt hellte sich seine Miene auf. »Draußen auf dem Hof.«
Der Soldat mit dem Blutfleck nickte abgehackt. »Wie Ihr befehlt, Herr.«
»Jetzt gleich!« Nikolaus schien der Gedanke zunehmend zu gefallen.
»Und die Anweisungen Eurer Frau Mutter?«, wagte der andere Mann einzuwenden. »Dass der Kerl am Leben bleiben soll?«
»Die Gräfin ist nicht hier«, sagte der Junge unbeeindruckt. »Oder siehst du sie irgendwo?«
»Nein, Herr.«
»Sie hätte nicht gewollt, dass ich blute,
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