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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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angefeuert vom Jubel des Gesindes, der ebenso gut Faun wie ihnen gelten mochte.
    Er erreichte die Mitte. Die drei Soldaten auf der Treppe nahmen mehrere Stufen zugleich und kamen nacheinander auf dem Wehrgang an. Zwei von ihnen kannte er: Es waren die Männer, die ihn im Kerker zusammengeschlagen hatten.
    Er blieb stehen, blickte nach hinten, dann nach vorn. Sie kamen jetzt von beiden Seiten. Gleich hatten sie ihn. Ohne nachzudenken, wirbelte er herum, stemmte beide Hände auf die Zinnen und landete mit angezogenen Knien auf der Mauerkante. Der warme Sommerwind wehte ihm ins Gesicht und schien ihn zurücktreiben zu wollen, doch Faun ließ sich nicht beirren. Ein Blick in die Tiefe. Der Wassergraben sah von hier oben beunruhigend schmal aus. Allzu tief konnte er nicht sein. Tief genug,-hoffentlich.
    Die Soldaten brüllten ihm nun aus beiden Richtungen Befehle zu, verfluchten ihn. Faun schenkte ihnen ein angestrengtes Grinsen, dann stieß er sich mit aller Kraft von den Zinnen ab.
    Um ihn herum war nichts mehr – das war sein stärkster Eindruck während der endlosen nächsten Augenblicke. Kein Boden, keine Wände, nichts, an dem er sich festhalten konnte. Seine Hände schnappten wirbelnd ins Leere. Er strampelte hilflos mit den Beinen. Seine Augen versuchten, sich nach irgendetwas auszurichten, Entfernungen abzuschätzen. Aber die Welt war nur mehr ein verschwommener Farbenrausch aus dem Schmutzbraun des Wassers unter ihm und den Wipfeln der Wälder am anderen Ufer. Einzig der flirrende Horizont – blau und grün und grau – blieb beständig, aber er hatte nicht genug Substanz, um Fauns Blicken Halt zu bieten.
    Alles war Schwindel, war Stürzen, war Panik.
    Dann der Aufprall auf dem Wasser.
    Und ein zweiter darunter.

Der Soldat und das Mädchen
     
    Fauns Knie knickten ein, als seine Füße auf Widerstand stießen. Alles geschah gleichzeitig. Er riss den Mund auf, schrie, schluckte Wasser und bekam keine Luft mehr. Für einen Moment fühlten sich seine Beine an, als wären sie mit Hammerschlägen in seinen Unterleib getrieben worden.
    Schon wenige Herzschläge später erkannte er, dass es halb so schlimm war – oder nicht so schlimm, wie es hätte sein können. Er war tatsächlich am Grund des Burggrabens aufgeschlagen, aber es war mehr ein Taumeln durch das Dämmernass des Gewässers, gebremst von weichem Schlamm, als ein ungebremster Aufprall auf hartem Untergrund, der ihn fraglos getötet hätte.
    Nicht atmen. Wasser ausspucken. Augen aufreißen. Irgendwas erkennen, sich abstoßen. Schnell!
    Aber seine Füße steckten fest, eingesunken bis zu den Knien im Schlamm. Etwas hielt ihn am Grund des Grabens, so kam es ihm vor, und für den Bruchteil eines Augenblicks funkelte die Wahnidee durch seinen Kopf, dass es keines Soldaten bedurfte, ihn zu töten; das schaffte er recht gut ganz allein.
    Irgendwie musste er die Panik abschütteln, die Gewalt über sich selbst zurückerlangen. Das waren keine konkreten, vernünftigen Gedanken, nur ein Wirrwarr aus Reflexen und Instinkten, Einfälle wie schmerzhafte Stiche, so als wäre sein Hirn von Ameisen befallen. Über ihm war Helligkeit, gefiltert durch die Dreckbrühe des Burggrabens, ein Gitterwerk flirrender Sonnenstrahlen im Wasser. Er strampelte, planschte – und kam auf einen Schlag frei. In einer Eruption aus wolkigem Schlamm und Moder stieß er zur Oberfläche empor, hustete, schnappte nach Luft, orientierte sich vage an einer Wand aus Grün am Ufer und kraulte wie von Sinnen darauf zu.
    Er blickte nicht zurück, erst recht nicht hinauf zu den Zinnen. Rufe drangen an sein Ohr, aber wie seine Sicht war auch sein Gehör noch nicht vollends wiederhergestellt. Sinneseindrücke brandeten von allen Seiten auf ihn ein, verpufften. Er war beherrscht von dem Willen, irgendwie ans Ufer zu gelangen, dann ins Unterholz und durch den Wald den Berg hinunter. Fort von der Burg. Fort von den –
    Hunden?
    Markerschütterndes Gebell ertönte von irgendwoher, verzerrt vom Wasser in seinen Ohren. Faun schwamm weiter, mit ausgreifenden Kraulbewegungen.
    Seine Füße berührten abermals Boden, sein Gesicht brach durch niedriges Schilfgras. Nicht allzu weit entfernt donnerten Schritte auf der Zugbrücke. Faun sah noch immer nicht hin. Er fürchtete, dass der Anblick eines Dutzends Soldaten mit fletschenden Bluthunden ihn auf der Stelle lähmen würde.
    Stolpernd, stöhnend, mit Rotz an der Nase und Morast in den Haaren kämpfte er sich an Land, taumelte irgendwie über ein schmales

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