Herrin der Lüge
bemerke sie sie nicht.
Violante saß mit ihren Zofen auf Decken, die an einem Feuer nah bei ihrer Kutsche ausgebreitet waren. Und, Himmel noch mal, sie stickte. Kopfschüttelnd dachte Saga, dass Violante ein wenig zu augenscheinlich Ruhe demonstrierte. Einen ehrlichen Blick in ihr Inneres gewährte sie niemandem. Dabei gehörte nicht viel dazu, sich vorzustellen, wie es dort aussah. Für sie stand einiges auf dem Spiel, gewiss mehr, als sie zugeben wollte.
Saga beugte sich über eines der Wasserfässer. Mit einer hölzernen Kelle trieb sie tote Insekten beiseite und trank ein paar tiefe Züge. Sie war nicht besonders durstig, wusste aber, dass sie ohnehin nicht einschlafen würde, wenn sie sich hinlegte.
Als Saga die Kelle zurück an den Fassrand hängte, entdeckte sie auf der bewegten Wasseroberfläche das Spiegelbild des Söldnerführers.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte Zinder, als sie herumwirbelte.
Sie warf einen Blick zum Feuer der Gräfin. Violante hatte ihr Stickzeug abgelegt und schaute herüber.
Mit einem Kopfnicken deutete Saga auf den Schwertgriff, der aus einer Scheide an Zinders Gürtel hing. Die Waffe hatte eine breite Kreuzstange, in deren Mitte eine runde Metallscheibe saß, so groß wie der Handteller eines Mannes. Der Griff selbst war mit dunklem Leder umwic kelt und beinahe so lang wie der eines Zweihänders.
»Ist das Wielands Schwert?«, fragte sie. »Das Kettenschwert, von dem alle reden?«
»Tun sie das?« Zinder sah nicht besonders interessiert aus.
»Hat es einen Namen?«
»Wielands Schwert. Dieser Name ist so gut wie jeder andere.«
»Darf ich es sehen?«
Die Frage schien ihn zu überraschen. Er war nicht herübergekommen, um mit seinem berühmten Schwert zu prahlen. »Nicht jetzt«, sagte er.
»Ist es wahr, dass es keine Klinge hat?« Sie blieb beharrlich. »Nur eine Kette, die durch ein Zauberwort fest wird wie geschmiedeter Stahl?«
Er nahm die Kelle vom Haken und schöpfte Wasser aus dem Fass. Als er sich vorbeugte, hielt er mit der freien Hand seinen silbergrauen Pferdeschwanz fest, damit er nicht ins Fass fiel. Beim Trinken lief ihm Wasser aus den Mundwinkeln und benetzte sein Wams. Er ließ sich viel Zeit, seinen Durst zu löschen, hängte die Kelle dann zurück und musterte Saga eingehend.
»Du redest nicht wie eine Heilige.«
»Ich bin keine.«
»Das dachte ich mir. Warum sollen die Menschen dir dann folgen?«
Sie schluckte verhalten, weil sie darauf keine Antwort wusste. Zögernd erwiderte sie: »Warum folgen deine Männer dir?«
»Weil sie mich respektieren.«
»Oder fürchten?«
Zinders Mundwinkel zuckten leicht, aber das mochte ein Trugbild des fernen Feuerscheins sein. »Ich führe diesen Haufen jetzt seit mehreren Jahren, und es mag genug Kerle geben, die Grund haben, mich zu fürchten. Aber keiner von ihnen ist noch bei uns. Furcht ist kein gutes Fundament für Loyalität. Irgendwann schlägt Angst in Hass um. Und du wirst nicht wollen, dass neben dir im Dunkeln jemand schläft, der dich hasst.«
Sie dachte an Gunthild und war zugleich erstaunt, wie redselig er plötzlich war. In den vergangenen Tagen hatte er ihr nur finstere Blicke zugeworfen und selten mehr als ein paar Worte mit ihr gewechselt. »Das sind Dinge, die du zur Gräfin sagen solltest«, bemerkte sie, »nicht zu mir.«
Seine Hand ruhte auf dem Griff von Wielands Schwert. »Sie behauptet, du führst uns an.«
Saga lachte. »Ich?«
»Das sagt sie jedenfalls.«
Sie schauten beide zu Violante hinüber, die ihren Blick ausdruckslos erwiderte. Sie sah gefährlich aus, fand Saga. Unberechenbar in ihren Launen und Entscheidungen.
»Du bist die Magdalena«, stellte er fest. »Aber noch weiß niemand, was das tatsächlich bedeutet. Sag du es mir.«
»Hat die Gräfin mich so genannt?«
»Das halbe Land spricht von dir.«
»Aber ich habe noch gar nichts getan«, entgegnete sie erstaunt. »Niemand kennt mich.«
»Und doch reden sie von dir, viele Tagesritte von hier in alle Richtungen. Von der Magdalena, die mit ihrem Heer von Jungfrauen auszieht, um das Heilige Land zu befreien.«
Saga wurde aschfahl. »Ist das wahr?«
Zinder machte eine weit ausholende Bewegung, als wollte er das ganze Kaiserreich umfassen. »Unter meinen Männern gibt es welche, die von dir gehört hatten, bevor die Gräfin mir einen Kontrakt angeboten hat.«
Allmählich begriff sie. Violantes Kundschafter hatten ganze Arbeit geleistet. Violante musste die ersten Gerüchte schon vor Monaten gestreut haben.
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