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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie schrie nicht dabei. Ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr. Sie war wie blind, war taub, war vollkommen leer im Inneren. Aber sie lief so schnell sie konnte.
    Um die Ecke des Hauses. An der Seitenwand entlang. Es gab kein Ziel, kein Versteck. Vielleicht in den Brunnen. Aber dort würde er sie finden.
    Erst recht nicht ins Haus.
    Es gab nur einen Weg. Eine einzige Richtung. Hinaus in die Marschen.
    Komm zu uns! Wir sind deine Freunde!
    Sie hörte ihn jetzt hinter dem Haus, nicht so zielstrebig, wie sie befürchtet hatte, eher taumelnd, als wäre er benommen von der Arbeit, die er verrichtet hatte. Maria bog nach rechts und rannte auf die Olivenbäume zu.
    Komm näher! Zu uns!
    Kurz bevor sie die Bäume erreichte, blieb sie stehen. Mitten in der Bewegung. Nicht aufrecht, sondern halb gebeugt, ein Arm erhoben, der andere schlaff an ihrer Seite. Im Laufen erstarrt.
    Vorsichtig sah sie über die Schulter zurück zum Haus. Nebelschwaden trennten sie von dem Gebäude, aber er würde nur ein paar Herzschläge brauchen, um die Distanz zu überwinden.
    Und, ja, da war er.
    Breitbeinig stand er an der Hausecke, den Oberkörper leicht vorgebeugt, lauernd wie ein Raubtier. Blickte in diese, dann in jene Richtung. Schließlich wieder zu ihr herüber.
    Was er sah, waren verkrüppelte Olivenbäume im Nebel. Graue Umrisse, nicht mehr. Der eine kleinere Umriss, der unmerklich näher war als die knotigen Stämme, wurde im Nebel von ihnen aufgesogen, schien aus der Entfernung zu ihnen zu gehören. Ein Auswuchs, ein Baumstumpf, nichts sonst.
    Er sieht mich nicht!, durchfuhr es sie. Sieht mich nicht, sieht mich nicht, sieht mich nicht!
    Lange stand er da und spähte hinaus in den Dunst.
    Maria rührte sich nicht.
    Schließlich wandte er sich um und verschwand hinter Schwaden. Maria schloss die Augen. Sie würde gleich ohnmächtig werden.
    Aber sie beherrschte sich. Holte endlich wieder Luft. Hob langsam die Lider.
    Und da stand er vor ihr. Atem dampfte unter seiner Kapuze hervor. Die Narbe am Hals war jetzt nahezu unsichtbar. Sein schwarzer Brustpanzer stank nach geschlachtetem Vieh.
    Sie regte sich nicht. Wie betäubt, aber doch völlig wach, starrte sie zu ihm auf. Kein Laut kam über ihre Lippen.
    Der Herzfresser streifte einen Handschuh ab und streckte lange Finger nach ihr aus. Eine Hand so weiß wie der Nebel berührte sanft ihre Stirn.
    »Du warst einmal tot«, sagte er, und es klang … verwundert?
    »Ich bin krank gewesen«, flüsterte sie.
    Er schüttelte den Kopf. Nur Schwarz unter der Kapuze. Und irgendwo darin seine Augen, seine Zähne. »Tot«, sagte er. Und nach einer Pause: »Wie ich.«
    Dann ergriff er ihre Hand und führte sie langsam zurück zum Haus.
    Später, als sein Werk vollendet war, setzte er sie vor sich in den Sattel seines Schiachtrosses, legte einen Arm um sie und ergriff mit rechts die Zügel. Dann nahm er sie mit sich durch den Nebel, durch den Sumpf, über die uralte Straße nach Norden.

Zweifel
     
    Morgen ist es so weit«, sagte Gräfin Violante zu Saga. Sie waren jetzt seit fast zwei Wochen unterwegs. »Du wirst deine erste Predigt halten.«
    Saga erwiderte nichts.
    »Mach dir keine Sorgen.« Violante legte etwas Mütterliches in ihre Stimme, das beinahe ehrlich klang. »Es wird alles gut gehen.«
    Gedankenverloren blickte Saga nach Süden. Sie stand neben der Gräfin auf der Kuppe eines Hügels. Ein warmer Sommerwind strich über das Land zu ihren Füßen und formte eigenartige Muster im hohen Gras. Sie fragte sich, wie diese Bewegungen wohl von oben aussahen, durch die Augen der Vögel betrachtet. Konnten sie daran ablesen, in welche Richtung sie vor dem Winter fliehen mussten? Saga wünschte sich, jemand würde ihr geheime Zeichen geben, wie sie am besten aus dieser ganzen Sache herauskäme.
    »Wie verstehst du dich mit Gunthild?«, fragte Violante. »Hilft sie dir, die richtigen Worte einzustudieren?«
    Saga nickte, ohne die Gräfin anzusehen. »Ich hab alles auswendig gelernt. Genau, wie Ihr es verlangt habt.«
    »Und Gunthild?« Violante ließ nicht locker. »Sie behandelt dich gut, hoffe ich.«
    »Sie versucht nicht, meine Freundin zu werden, wenn Ihr das meint. Sie ist eifersüchtig, weil Ihr mich ihr vorgezogen habt. Sie kann das nicht so leicht verwinden.«
    »Ich werde mit ihr sprechen.«
    »Nein.« Saga kreuzte ihren Blick. »Tut das nicht. Das würde es nur schlimmer machen. Erniedrigt sie nicht noch mehr.«
    Die Gräfin hob die Schultern. »Ganz wie du wünschst.«
    Saga blickte die

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