Herrin der Lüge
bemerkte, dass der Söldner auf die Knie sank. Zinder sah es ebenfalls und runzelte die Stirn, stand aber zu weit entfernt, um den Mann zurück auf die Beine zu ziehen. Saga verhaspelte sich und hätte kurz vor Ende der Predigt beinahe alles verdorben. Doch die Worte kamen jetzt wie von selbst über ihre Lippen.
»Wir werden am Jordan der Taufe und Demut gedenken, am Hügel Golgatha der Hingebung und dem Martyrium, am leeren Grab der Erlösung und Auferstehung.«
Der Söldner beugte das Haupt. Er betete.
»Amen.«
Er betete zu ihr.
Alles kreiste um ihre Augen, der Himmel wurde dunkel, die Wälder rückten näher. Finsternis überkam sie. Saga brach zusammen.
Sie erwachte in einer Kutsche. Unter ihrem Kopf und Rücken spürte sie Kissen mit samtenem Bezug. Das Gefährt holperte durch Löcher und über Steine. Durch die Fenster drang das Hufgeklapper der Eskorte, die Stimmen der Söldner. Die Vorhänge wehten nach außen, ohne auf den Widerstand von Gittern zu treffen. Licht flirrte herein, immer wieder zerschnitten von Dunkel: Sonnenschein, der durch ein Blätterdach fiel.
Das hier war nicht ihre Kutsche.
Sie hob den Kopf und hatte das Gefühl, jemand hämmere ihn mit einem Faustschlag zurück in die Kissen. Höllische Kopfschmerzen. Ein Stöhnen kroch über ihre Lippen, sie schlief wieder ein, erwachte erneut. Vielleicht nur einen Herzschlag später.
»Alles wird gut«, flüsterte Gräfin Violante und streichelte ihre Wangen. »Du hast das Bewusstsein verloren. Das ist alles.«
»Das ist … eine ganze Menge«, krächzte Saga. Sie klang heiser wie nach einem Gelage.
Violante lächelte. Sie waren allein in ihrem Wagen. Saga lag mit angezogenen Knien auf einer der beiden Sitzbänke. Sie waren breiter als in ihrer eigenen Kutsche.
Die Erinnerung kehrte zurück, flutete über Kopfschmerz und Schwäche hinweg und machte die Vergangenheit einen Augenblick lang zur Gegenwart.
»Ich mach’s wieder gut!«, entfuhr es Saga erschrocken. »Bitte, Ihr dürft Faun nicht töten! Beim nächsten Mal gebe ich mir mehr Mühe. Ich schwör’s.«
Violantes Lächeln wurde noch sanftmütiger. »Kein Grund, dich zu entschuldigen. Du warst großartig.«
»Aber ich … bin ohnmächtig geworden. Oder?«
»Nachdem alles vorbei war – ja.«
Saga stutzte. »Dann haben sie es geglaubt?«
»Geglaubt?« Violante stieß ein helles Lachen aus. »Sie lodern vor Begeisterung für die Magdalena und unsere Sache, Saga! Sie würden dir überallhin folgen, bis ans Ende der Welt und darüber hinaus.«
Saga war noch zu benommen, als dass ihr dies mehr als einen gelinden Schrecken hätte einjagen können. »Ist das wahr?«
»Du bist jetzt die Magdalena, Saga! Achtzehn von ihnen haben sich uns angeschlossen. Beinahe ebenso viele mussten wir zwingen, zurückzubleiben, weil sie schon zu alt waren oder ihre Kinder mitnehmen wollten.«
»Zwingen?«
Violante tupfte Sagas Stirn mit einem feuchten Tuch ab. »Keiner ist ernsthaft verletzt worden. Ein paar Männer, die sich uns in den Weg stellen wollten, mussten von Zinders Leuten zurückgetrieben werden. Das Schlimmste dürften ein paar gebrochene Knochen sein.«
Und alles nur, weil sie gelogen hatte. Weil der Lügengeist ihr Fluch und ihr Segen zugleich war. Sie fühlte sich schuldig am Schicksal dieser Menschen, aber mehr noch als um ein paar Bauern mit gebrochenen Nasen sorgte sie sich um die achtzehn Mädchen, die ihr nun folgten.
»Was, wenn die Wahrheit herauskommt?«, fragte sie gedämpft.
»Wie sollte sie?«
»Jemand könnte dahinterkommen. Oder Zinder … was ist mit ihm? Wir müssen ihm die Wahrheit sagen. Seine Leute müssen sich schützen … mit Wachs in den Ohren oder sonst wie …«
Violante beugte sich vor und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Saga war so überrascht, dass sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Die Gräfin lächelte, streifte sich ein paar hellblonde Haarsträhnen aus dem Gesicht und nahm Sagas Hand in ihre. Ihre Finger fühlten sich kühl und trocken an, genau wie ihre Lippen.
»Mach dir nicht so viele Gedanken«, sagte sie leise. »Alles wird sich richten. Ich rede mit Zinder.«
Saga hatte das Gefühl, Violantes Mund noch immer auf ihrer Haut zu spüren. Es war ein Kuss gewesen, wie ihre Mutter ihn ihr früher manchmal gegeben hatte. Nicht oft. Und das war lange her. »Was wollt Ihr ihm sagen?«
»Die Wahrheit. Er wird sie für sich behalten. Das Gold wird seine Ohren ebenso zuverlässig verschließen wie Wachs – und seinen Mund dazu.
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