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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ich kenne ihn ein wenig, glaub mir.«
    »Und die anderen?«
    »Wachs ist keine schlechte Idee«, stimmte Violante schulterzuckend zu.
    Saga dachte an Zinders Misstrauen am Abend zuvor und an das Schwert an seiner Seite. »Was, wenn er auf die Idee kommt, ich könnte eine Hexe sein?«
    »Bist du denn eine?«
    Mit großen Augen starrte Saga sie an. Violante meinte es vollkommen ernst. »Ich weiß nicht, was ich bin. Was er ist.«
    »Der Lügengeist?«
    Saga nickte.
    »Er ist ein Geschenk«, sagte Violante. »Ein Geschenk, das wir uns zu Nutze machen müssen. Es ist eine Verpflichtung, verstehst du? Die Menschen dort draußen wollen glauben, an Gott, an das heilige Jerusalem … und an dich. Sie sind bereit, für dich zu sterben.«
    »Das ist schrecklich!«
    »Ich habe dich beobachtet, da draußen auf dem Dorfplatz. Es hat dir gefallen. Du hattest kein schlechtes Gewissen. Du bist eine Gauklerin. Es macht dir Spaß, die Leute zu belügen.«
    Sagas erster Impuls war, alles abzustreiten, solche Gefühle weit von sich zu weisen. Was Violante da beschrieb, das war nicht sie. Unmöglich. Und doch: Die Gräfin hatte Recht. Es hatte ihr gefallen, dort zu stehen und vor den Menschen ein Gebäude aus Lügen zu errichten. Für die Frauen war alles im selben Moment wahr geworden, da die Worte aus Sagas Mund gekommen waren. Ganz kurz gestattete sie sich einen Blick auf das wahre Ausmaß ihrer Macht, wie das Blinzeln zu einem fernen Horizont, den nur sie allein sehen konnte: Ihre Worte konnten Bilder in den Menschen erschaffen, konnten Überzeugungen aus Leere erstehen lassen. Und wurden Dinge nicht dadurch wahr, dass jemand an sie glaubte? Für ihn, diesen Einzelnen, bedeuteten sie einen Teil seiner Welt, bedeuteten Wahrheit.
    »Ich will sie sehen«, sagte sie. »Die Frauen, die sich uns angeschlossen haben.«
    Violante schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
    »Ich muss sie sehen!«, fauchte Saga mit der Stimme des Lügengeistes. Ihn sich in ihrem Zustand gefügig zu machen war gefährlich. Aber sie scherte sich in diesem Moment nicht um sich selbst oder das, was mit ihr geschehen mochte. Sie wollte mit eigenen Augen sehen, was ihre Macht bewirkt hatte.
    Für einen Herzschlag war da etwas in den Augen der Gräfin, ein Flackern, ein Hauch von Unsicherheit. Saga glaubte schon, sie hätte Erfolg gehabt mit ihrem Überraschungsangriff.
    »Nein«, sagte Violante nach kurzem Zögern. »Du musst dich erst erholen. Und versuch das nicht noch einmal.«
    »Ich muss sie sehen!«
    Violantes Hand zuckte so schnell heran, dass Saga dem Hieb nicht ausweichen konnte. Sie rechnete mit einem zweiten Schlag, genau wie damals, doch der kam nicht.
    Stattdessen griff Violante unter ihre Sitzbank und zog eine kleine Holztruhe hervor, nicht größer als ein Kopf. Sie klappte sie auf und hob etwas heraus, klein, in Leder eingeschlagen.
    Saga rieb sich die brennende Wange. »Was ist das?«
    Violante warf es ihr in den Schoss. »Pack es aus.«
    Zaudernd streckte Saga die Hand danach aus. Es war sehr leicht. Länglich. Rund. Als sie das Leder zurückschlug, stieß sie ein leises Keuchen aus.
    »Ein Finger?«
    Die Gräfin nickte. »Fauns Finger.«
    Saga starrte das Ding an. Es war ein männlicher Finger, ganz ohne Zweifel. Die Wunde war eingetrocknet, der Knochen lugte gelblich aus schwarzbraunem Grind.
    Sie musste sich zwingen, ihren Blick davon zu lösen. Violante sah ihr tief in die Augen.
    »Ihr lügt«, stellte Saga fest.
    Violantes Brauen rückten zusammen. »Bist du ganz sicher?«
    Saga drehte den Finger in der Hand, dann warf sie ihn zurück zu Violante. Er prallte von ihren Schenkeln ab, fiel zu Boden und rollte unter die Sitzbank. Violante kümmerte sich nicht darum.
    »Du hast Recht«, sagte die Gräfin. »Es ist schwer, dich zu belügen. Ebenso wie man mich nicht belügen kann. Denk daran, wenn du es das nächste Mal versuchen willst.« Sie beugte sich vor. »Du musst überhaupt niemanden sehen. Aber du darfst, wenn du es wirklich willst.«
    Damit stand sie auf und gab dem Kutscher mit einem heftigen Klopfen zu verstehen, die Pferde zu zügeln.
    Wenig später war der ganze Zug zum Stehen gekommen. Saga folgte Violante ins Freie. Es hatte aufgehört zu regnen, der Boden war trocken.
    »Du hättest warten sollen«, sagte die Gräfin.
    Saga lief an den drei Wagen vorbei zum Ende des Zuges. Die Blicke der Söldnereskorte folgten ihr. Einige Männer lenkten ihre tänzelnden Pferde beiseite, um sie passieren zu lassen.
    Vom hinteren Teil des Zuges drangen

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