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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gewöhnen. Diese Mädchen waren bereit, alles zu tun, um sich ihren Platz im Kreuzfahrerheer zu sichern. Aber taten sie es für Gott? Für die Magdalena? Oder für sich selbst, um ihrem armseligen Schicksal zu entfliehen? Saga fand keine Antwort darauf.
    Verpflegung kauften sie in Dörfern, in denen Saga auf Predigten verzichtete. Selbst dort, ohne jede Beeinflussung des Lügengeistes, schlössen sich ihnen weitere Frauen an, vereinzelter als zuvor, aber ebenso feurig in ihrer Begeisterung für die Befreiung der Heiligen Stätten.
    Am Ufer des dunklen Sees ließ Violante Wein für alle ausschenken. Die Mädchen saßen rund um die Lagerfeuer – getrennt von den Söldnern, über deren Begehrlichkeiten Zinder mit Argusaugen wachte – und genossen ihre neue Freiheit. Becher aus Ton und Leder machten die Runde, obgleich nicht jede daraus trank. Bald war das Lager von hellem Gelächter erfüllt, dann wieder unterbrochen von andächtiger Stille, wenn eine ein Gebet anstimmte und alle mit berauschter Glückseligkeit lauschten.
    Violante wollte nicht, dass Saga sich an dem Treiben beteiligte. Es gehöre sich nicht für eine Predigerin, sagte sie, und in dieser Angelegenheit hatte sie Gunthild auf ihrer Seite. Die alte Nonne hatte sich in den vergangenen Tagen zurückgehalten, schweigsam beobachtet, aber selten die Ereignisse kommentiert. Doch nun trat sie erneut aus dem Schatten und hielt eine zeternde Rede über die Verneblung des Geistes und die Sünde der Trunkenheit.
    Während der Lärm am Seeufer immer lauter wurde, zog Saga sich in das Zelt zurück, das die Söldner für sie aufgeschlagen hatten. Stoffe für die Planen zu kaufen war nicht schwierig gewesen, und unter den Frauen war fast keine, die sich nicht aufs Nähen verstand.
    Alles in allem führten sie nun genügend Zelte mit sich, um Dutzende weiterer Frauen unterzubringen. Einige der Söldner mussten auf die Bequemlichkeit ihrer Pferde verzichten; stattdessen wurden die Rösser mit allerlei Utensilien beladen und am Zügel geführt. Zinder gelang es trotzdem, die Männer einigermaßen bei Laune zu halten.
    Sagas Zelt bot Platz für drei bis vier Menschen, war aber ihr allein vorbehalten. Dafür war sie dankbar. Rund herum wurden mehrere Schrittbreit Abstand zu den nächsten Unterkünften eingehalten. Dort brannte ein Kreis von Fackeln, und einige Mädchen hatten begonnen, aus allerlei Zweigen und anderen Utensilien Kreuze zu errichten. Bei Nacht patrouillierten rund um das Zelt mehrere Söldner und achteten darauf, dass keine Fremden, aber auch keine der Kreuzfahrerinnen der Magdalena zu nahe kamen. Und obwohl es keine der Frauen ahnte, wahrscheinlich nicht einmal die Söldner selbst, sorgten sie dafür, dass die Magdalena blieb, wo sie war.
    Saga wollte sich gerade ihr Wams über den Kopf ziehen, als sich jemand vor der Plane am Eingang räusperte.
    »Wer ist da?« Sie zog das Hemd wieder nach unten.
    Die Stimmen der Frauen wehten verzerrt vom Seeufer herüber, gedämpft durch die Zeltwand.
    Zinder schlug die Plane beiseite und trat ein, ohne auf ihre Frage zu antworten. Er war fast zwei Köpfe größer als sie und musste das Haupt leicht vorbeugen, um im Inneren des Zeltes aufrecht zu stehen. Sein grauer Pferdeschwanz hing über seine Schulter bis auf die Brust. Saga versuchte zu erkennen, ob er betrunken war. Sein Blick war klar, seine Bewegungen sicher. Er roch nicht nach Wein, nur nach Schweiß und dem Leder seiner Kleidung.
    »Was willst du?« Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie ihn nicht mochte.
    »Mit dir reden.«
    »Violante wird das nicht gefallen.«
    »Sie ist unten am Ufer und hört den Mädchen zu.« Er lachte leise. »Sieht aus, als käme sie allmählich von ihrem hohen Ross herunter.«
    Saga war die Wandlung der Gräfin ebenfalls aufgefallen. Und sie wunderte sich nicht minder.
    »Aber deswegen bist du nicht hergekommen, oder?«
    »Ich bin neugierig. Und auch ein wenig besorgt.«
    »So?« Ihr Blick fiel auf den Schwertgriff an seiner Seite. Er bemerkte es und runzelte die Stirn.
    »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte er.
    »Violante würde dich nicht bezahlen, wenn mir ein Leid geschähe.«
    Er grinste, was ihn erheblich jünger aussehen ließ. Sie schätzte ihn auf Anfang vierzig. Die Falten, die sich tief um seine Augen eingegraben hatten, stammten gewiss nicht vom vielen Lachen; es schien ihr schwer vorstellbar, dass ein derber Kerl wie er Humor besaß. Falls doch, dann wollte sie lieber nicht wissen, worüber er für

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