Herrin Der Stürme - 2
anderen Ende des Raumes.
Es war also die Große Halle meines Vaters, in der er tot lag, und ich habe es erst gesehen, als es zu spät war … Meine Vorausschau war richtig, aber ich habe ihre Ursache falsch gedeutet… Selbst das Wissen um die vielen Möglichkeiten verhindert nicht…
Damon-Rafael senkte weinend das Haupt. Die Arme ausstreckend sagte er zu Allart: »Er ist tot; unser Vater ist ins Licht gegangen.« Die Brüder umarmten sich. Allart zitterte immer noch vor Entsetzen über das plötzliche Eintreffen der Zukunft, die er vorhergesehen hatte.
Um sie herum knieten die Diener einer nach dem anderen nieder und wandten sich den Brüdern zu. Damon-Rafael riß sich, obwohl sein Gesicht von Kummer verzerrt war und sein Atem stoßweise kam, zusammen, als sie die traditionellen Worte sprachen.
»Unser Fürst ist tot. Lang lebe unser Fürst.« Und kniend streckten sie ihre Hände aus, um Damon-Rafael zu huldigen.
Allart kniete nieder. Er war, wie es Recht und Gesetz entsprach, der erste, der dem neuen Großfürsten von Elhalyn, Damon-Rafael, Gehorsam gelobte.
6
Stephen, Lord Elhalyn, wurde in der traditionellen Grabstätte an den Ufern von Hali zur letzten Ruhe gebettet. Die ganze Hastur-Verwandtschaft der Tiefland-Reiche, von den Aillards auf den Ebenen von Valeron, bis zu den Hasturs von Carcosa, war gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Selbst König Regis, gebeugt und greisenhaft, zum Reiten fast schon zu gebrechlich, hatte, gestützt auf den Arm seines einzigen Sohnes, am Grab seines Halbbruders gestanden.
Prinz Felix, Erbe des Throns von Thendara und der Krone der Reiche, war gekommen, um Allart und Damon-Rafael zu umarmen, wobei er sie »teure Cousins« nannte. Felix war ein schmächtiger, weichlicher junger Mann mit vergoldetem Haar und farblosen Augen, und er hatte das lange, schmale Gesicht und die Hände der Chieri-Blütigen. Als die Begräbniszeremonien beendet waren, gab es eine große Feier, Dann wurde der alte König, der auf sein hohes Alter und seine schwache Gesundheit hinwies, von seinen Höflingen nach Hause gebracht, aber Felix blieb, um den neuen Lord von Elhalyn, Damon-Rafael, zu ehren.
Selbst der Ridenow-Fürst hatte einen Abgesandten vom fernen Serrais geschickt, der unaufgefordert einen Waffenstillstand für zweimal vierzig Tage anbot.
Allart, der die Gäste in der Halle begrüßte, erblickte plötzlich ein Gesicht, das er kannte – obwohl er es nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Dunkles Haar, wie eine Wolke aus Dunkelheit unter einem blauen Schleier; graue Augen, aber von so dunklen Wimpern überschattet, daß sie einen Augenblick lang so dunkel wie die eines Tieres wirkten. Allart fühlte, als er auf das Gesicht der dunklen Frau blickte, deren Gesicht ihn so viele Tage verfolgt hatte, ein merkwürdiges Stechen in der Brust. »Cousin«, sagte sie höflich, und er konnte den Blick nicht, wie es der Brauch vor einer unverheirateten, ihm fremden Frau verlangte, von ihr abwenden.
Ich kenne dich gut. Du hast mich im Traum und Wachzustand verfolgt, und ich bin bereits mehr als nur halb in dich verliebt … Erotische Visionen stürmten, unpassend in dieser Umgebung, auf ihn ein. Er versuchte gegen sie anzukämpfen.
»Cousin«, sagte sie noch einmal, »warum starrst du mich auf so unziemliche Weise an?«
Allart spürte das Blut in seinen Kopf steigen; es war tatsächlich unhöflich, fast schon unverschämt, eine Frau, die ihm fremd war, so anzustarren, und er errötete bei dem Gedanken, daß sie Laran besitzen könnte und die Visionen, die ihn quälten, möglicherweise bemerkte. Schließlich fand er seine Stimme wieder.
»Aber ich bin kein Fremder für dich, Damisela. Und es ist auch keine Unhöflichkeit, daß ein Mann seiner Braut direkt ins Gesicht schaut. Ich bin Allart Hastur. Ich werde bald dein Gatte sein.«
Sie hob den Kopf und erwiderte offen seinen Blick, aber ihre Stimme verriet Spannung. »Ah, das ist es also? Aber ich kann schwerlich glauben, daß du mein Bild in dir getragen hast. Wir haben uns zum letzten Mal gesehen, als ich ein Mädchen von vier Jahren war. Ich habe gehört, Dom Allart, du solltest dich nach Nevarsin zurückgezogen haben, daß du krank warst, ein Mönch sein und dein Erbe aufgeben wolltest. War das alles nur müßiges Geschwätz?«
»Es stimmt, daß ich eine Zeitlang solche Pläne hatte. Ich habe sechs Jahre bei den Brüdern von Sankt-Valentin-im-Schnee gewohnt, und wäre gerne dort geblieben.«
Wenn ich diese Frau liebe, werde ich sie zerstören …
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