Herrin der Stürme
Cassandra.
Allart schreckte auf. Er hatte einen flehenden Unterton in ihrer Stimme gehört. Für sie ist es noch schlimmer. Das arme Mädchen. Ich wurde – irgendwie – bei dieser Eheschließung berücksichtigt; ihr ist es noch nicht einmal erlaubt gewesen, ja oder nein zu sagen. Warum tun wir das unseren Frauen an? Sie sind es doch, durch die wir die kostbaren Erbeigenschaften, die uns inzwischen soviel bedeuten, erhalten!
Sanft sagte er zu ihr: »Mein Schweigen hat nichts mit dir zu tun, Damisela. Dieser Tag hat mir viel nachzudenken gegeben, das ist alles. Aber ich bin ein Flegel, in deiner Gegenwart so versunken zu grübeln.«
Ihre sanften Augen, von Wimpern so dicht überschattet, daß sie dunkel wirkten, begegneten den seinen mit einem humorvollen Funkeln. »Du behandelst mich schon wieder wie ein Mädchen, das man mit einem netten Kompliment zum Verstummen bringen kann. Ich nehme mir heraus, dich daran zu erinnern, daß es kaum geziemend ist, mich Damisela zu nennen, wenn ich deine Frau bin.«
»Oh Gott, ja«, sagte er zerknirscht. Sie blickte ihn an, und ein schwaches Runzeln stahl sich über ihre glatten Augenbrauen.
»Bist du so sehr abgeneigt, vermählt zu werden? Ich wurde seit meiner Kindheit mit dem Wissen erzogen, daß ich so heiraten müßte, wie meine Verwandten es von mir verlangten. Ich habe geglaubt, ein Mann könne freier wählen.«
»Ich glaube, kein Mann ist frei, zumindest in den Reichen nicht.« Er fragte sich, ob es deshalb soviel Lustbarkeiten bei einer Hochzeit gab – so viele Tänze und Getränke – um die Söhne und Töchter von Hastur und Cassilda vergessen zu lassen, daß sie um des verfluchten Laran willen, das ihrem Geschlecht Macht gab, wie Zuchthengste und Stuten herangezogen wurden!
Aber wie konnte er es vergessen? Allart befand sich wieder im Griff seines unscharf eingestellten Zeitgefühls, dem Fluch seines Laran. Genau in diesem Augenblick verzweigten sich wieder verschiedene Zukunftsentwicklungen: das Land, lodernd im Krieg und Kampf, schwebende Falken wie jene, die das Haftfeuer auf den Luftwagen geworfen hatten; große Gleiter mit weiten Flügeln, an denen Männer hingen; in den Wäldern aufflackernde Brände; merkwürdige schneebedeckte Gipfel aus den Gebieten jenseits von Nevarsin, die er noch nie gesehen hatte; das Gesicht eines Kindes, umgeben vom fahlen Glanz der Blitze… Sind das alles Dinge, die tatsächlich in mein Leben treten, oder nur solche, die möglich sind?
Hatte er überhaupt eine Kontrolle über irgendeine dieser Zukünfte, oder würde ein unerbittliches Schicksal ihm alle auferlegen? So wie es ihm Cassandra Aillard, die Frau, die jetzt vor ihm stand, vorgesetzt hatte … Ein Dutzend Cassandras, nicht nur eine, die zu ihm aufblickten – erhitzt von Liebe und Leidenschaft, die er, wie er wußte, erregen konnte, verzerrt vor Haß und Abscheu (ja, auch die konnte er erregen), schlaff vor Erschöpfung, mit einem Fluch auf den Lippen in seinen Armen sterbend … Allart schloß die Augen in dem vergeblichen Versuch, die Gesichter seiner Frau zu verbannen.
Spürbar erregt sagte Cassandra: »Mein Gatte! Allart! Sag mir, was mit dir nicht in Ordnung ist, ich bitte dich!«
Er wußte, daß er sie erschreckt hatte und versuchte, die auf ihn einstürmenden Zukunftsvisionen unter Kontrolle zu bekommen, die Techniken, die er in Nevarsin gelernt hatte, anzuwenden, das Dutzend Frauen, zu dem sie geworden war – werden konnte, werden würde – auf die eine zu reduzieren, die jetzt vor ihm stand.
»Es hat nichts mit dir zu tun, Cassandra. Ich habe dir gesagt, daß ich einen Fluch trage.«
»Gibt es nichts, das dir helfen kann?«
Ja, dachte er erregt, die beste Hilfe wäre gewesen, wenn keiner von uns je geboren worden wäre; wenn unsere Vorfahren – sie mögen in Zandrus schwärzester Hölle frieren – sich hätten zurückhalten können, diesen Fluch in unser Geschlecht hineinzutragen! Er sprach es nicht aus, aber sie fing den Gedanken auf, und ihre Augen weiteten sich voll Bestürzung.
Aber dann brachen die Familienmitglieder in ihr sekundenlanges Alleinsein ein. Damon-Rafael beanspruchte Cassandra mit einem arroganten »Sie wird schon früh genug ganz dein sein, Bruder!« für einen Tanz, und irgend jemand schob ein Glas in seine Hand und verlangte, daß er sich an dem Fest beteiligte, das schließlich zu seinen Ehren gegeben werde.
Im Versuch, inneren Aufruhr und Auflehnung zu verhehlen – schließlich konnte er seine Gäste nicht für alles verantwortlich
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