Herrin des Blutes - Thriller
unendlich müde, nachdem sämtliche Dynamik aus ihrem Körper gewichen war. Sie hätte auf der Stelle einschlafen können, sogar hier, umgeben von ihren Feinden. Ihre Augenlider flackerten und schlossen sich beinahe vollständig. Marcy taumelte rückwärts, stolperte über das tote Mädchen und stürzte zu Boden.
Sie rappelte sich blitzschnell wieder auf. Ihr funkelnder, durchdringender Blick huschte von der Leiche über die erschrockenen Gesichter ihrer Freunde zu Dream. Sie atmete heftig, als hätte sie gerade einen Marathon absolviert. Dann stieß sie einen Schrei aus und gestikulierte wild in Richtung ihrer Freunde.
»ALLE RAUS!« Sie riss ihre Schwester aus dem Stuhl und schob sie stolpernd vor sich her. »RAUS HIER! WIR MÜSSEN VERFLUCHT NOCH MAL VON HIER VERSCHWINDEN! SOFORT, GOTTVERDAMMT NOCH MAL!«
Michael erwachte als Erster aus seiner Starre. Er riss die Tür auf und Ellen torkelte hinaus. Die anderen folgten ihr hastig. Marcy war die Letzte, die verschwand. Sie drehte sich noch einmal um und blieb in der halb geschlossenen Tür stehen.
»Ich hab keine Ahnung, was hier gerade passiert ist …« Sie bemühte sich krampfhaft, wenigstens annähernd dieselbe bösartige Ruhe auszustrahlen, die sie eben noch an den Tag gelegt hatte. »… aber ich bin mit dir noch nicht fertig, verflucht noch mal. Irgendwie sorge ich schon dafür, dass du deine Quittung bekommst.«
Mit diesen Worten verschwand sie und die Tür knallte hinter ihr ins Schloss.
Dream war wegen der Drohung des Mädchens nicht sonderlich beunruhigt. Ihre Augen öffneten sich mit einem Blinzeln. Sie sinnierte leicht abwesend über die unglaubliche Kraft, die sie für kurze Zeit kanalisiert hatte. Sie fragte sich, woher sie gekommen war und ob es ihr erneut gelingen würde, sie heraufzubeschwören, falls es notwendig wurde.
Alicia stand wieder über ihr, aber sie wirkte verschwommen und unscharf.
Dream war beinahe eingeschlafen.
Sie blieb jedoch noch lange genug bei Bewusstsein, um die Worte ihrer Freundin zu hören: »Das war ziemlich beeindruckend, Dream. Du hast diesen Kids eine Scheißangst eingejagt. Du warst wie Linda Blair im beschissenen Exorzist . Aber das hier ist noch nicht ausgestanden.« Alicia schüttelte mitfühlend den Kopf. »Oh, nein, noch lange nicht. Aber hör zu, du weißt doch noch, was ich dir vorhin gesagt habe, oder? Dass es Ärger geben wird? Ich habe damit nicht diese Kids gemeint, Süße.«
Dream schloss ihre Augen. »Was immer du sagst.«
Alicia beugte sich ganz nahe zu ihr. Ihr ranziger Leichenatem fühlte sich heiß auf Dreams Ohr an. »Der Ärger wartet da draußen, Dream. Lauert auf den Moment, wo du dich zeigst. Und ich will dir noch was mit auf den Weg geben: Falls du es irgendwie lebend hier raus schaffst, wirst du dir noch wünschen, diese Freaks hätten dich umgebracht.«
Dream seufzte.
Sie konnte später immer noch über Alicias Warnungen nachdenken. Wenn es sein musste.
Ihr Atem ging allmählich gleichmäßiger.
Und endlich verschwand die Welt um sie herum wieder.
Kapitel 6
Das Geräusch des Fernsehers aus dem Schlafzimmer verstummte abrupt. Allyson blickte in ihr Gesicht, das sie aus dem Badezimmerspiegel anstarrte, und lauschte Chads gedämpftem Gähnen. Er war müde. Was nicht überraschte, wenn man bedachte, was für ein langer Tag es gewesen war und wie viele Gläser Whiskey er während seiner Unterhaltung mit diesem Mann namens Jim geleert hatte.
Allyson war keine Viertelstunde, nachdem sie aus dem Haus gestürmt war, wieder zurückgekehrt. Sie war nur lange genug weggeblieben, um Chad davon zu überzeugen, dass sie ein wenig Dampf hatte ablassen müssen. Sie musste weiterhin ihre Rolle spielen. Also war sie schon bald wieder nach Hause gegangen und hatte sich mit einem Lächeln bei dem ungebetenen Gast entschuldigt, ohne ein allzu großes Theater um die ganze Sache zu veranstalten. Die Männer hatten sich daraufhin ins Arbeitszimmer zurückgezogen, während Allyson die Küche aufräumte. Dabei hatte sie sich krampfhaft bemüht, nicht an die harten, gefährlichen Kerle zu denken, die schon bald auftauchen würden. Ob sie kamen, um zu töten, oder nur, um jemanden zu entführen, wusste sie nicht. Und sie wollte es auch gar nicht wissen.
Wenigstens redete sie sich das wieder und wieder ein.
Es spielte keine Rolle. Chad war ein Opfer und sein Freund nichts weiter als ein Typ, den ein paar andere Leute gerne in die Finger kriegen wollten. Sie hatte alles getan, was man von ihr verlangte.
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