Herrin des Blutes - Thriller
Hatte sich in Chads Leben geschlichen, sein Vertrauen gewonnen und dafür gesorgt, dass er sich in sie verliebte. Und sie war bis zu dem Moment, von dem ihre Auftraggeber gesprochen hatten, bei ihm geblieben. Sie wusste, dass sie vollkommen kaltschnäuzig und emotionslos mit der ganzen Situation umgehen und auf eine günstige Gelegenheit warten sollte, sich mitten in der Nacht aus dem Haus zu schleichen, aber …
Verflucht noch mal.
Sie mochte Chad. Es hatte keinen Sinn, diese Tatsache zu leugnen. Irgendwann war die Grenze zwischen Schauspielerei und Realität verschwommen. Die letzten Augenblicke, bevor sie vorhin den Anruf tätigte, hatten sich angefühlt, als steuerte sie direkt auf den Rand einer hohen Klippe zu und fragte sich, ob sie wirklich springen sollte. Nach kurzem Zögern hatte sie den Sprung gewagt und angenommen, dass sich ihre Zweifel nach vollbrachter Tat in Luft auflösen würden.
Aber die Gedanken kreisten noch immer durch ihren Kopf und quälten sie mit Bildern und Vorstellungen von einer Zukunft, die nicht länger im Bereich des Möglichen lag. Und sie machten Allyson umso verrückter, weil sie wusste, dass es absolut unmöglich war, alles rückgängig zu machen.
Was passiert ist, ist passiert, sagte sie sich und blickte stumm ihr Spiegelbild an. Denk nicht mehr dran, und wenn du morgen in dieses Flugzeug steigst, wirst du schon bald vergessen haben, dass es jemals einen Chad Robbins gegeben hat.
Na klar.
Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieses Vorhaben unter die Kategorie »Leichter gesagt als getan« fallen würde.
Und als gäbe es nicht schon genug, worüber sie sich Sorgen machen musste, war da noch die Sache mit dem geheimnisvollen Mann. Es war offensichtlich, dass Chad den Mann sehr mochte und respektierte, was ihrem Verrat eine zusätzliche Schicht des Bedauerns hinzufügte. Der Mann hatte etwas enervierend Vertrautes an sich. Sie hatte daher beschlossen, die Unterhaltung der beiden zu belauschen, war aus den Schuhen geschlüpft und barfuß durch den Flur direkt vor die Tür des Arbeitszimmers getrippelt.
Anfangs hatten sie sich nur über Banalitäten ausgetauscht. Der Ton ihrer Unterhaltung hatte sich jedoch von einer Sekunde auf die andere verändert, als Jim Chad anvertraute, weshalb er ihn nach all diesen Jahren aufsuchte. Allysons Augen hatten sich gebannt geweitet und ihr Herz war beinahe stehen geblieben, als er von einer Gefahr sprach, die sich am Horizont zusammenbraute. Einige Überlebende aus dem Haus des Blutes seien spurlos verschwunden, ein weiterer brutal ermordet aufgefunden worden. Er hatte Chad dringend nahegelegt, »unterzutauchen«.
Allyson hatte es nicht länger ausgehalten, ihren Lauschposten verlassen und sich eilig ins Gästezimmer zurückgezogen. Dort holte sie die Tasche aus dem Schrank, die schon seit Monaten gepackt bereitstand. Es war eine große schwarze Stofftasche, vollgestopft mit Klamotten, die der modischen Garderobe, die sie sich für ihren Auftritt als Chads Geliebte zugelegt hatte, so gar nicht ähnelten. In einer seitlichen Reißverschlusstasche steckte der Vorschuss in Höhe von 10.000 Dollar, den man ihr für den Job bezahlt hatte. Ihr Fluchtgeld. Eine weitere Tasche enthielt eine Sammlung makellos gefälschter Zeugnisse und Dokumente, darunter einen Reisepass, einen Führerschein des Bundesstaats Tennessee, eine Geburtsurkunde und eine Visitenkarte, die sie als Beraterin einer Firma namens Franklin Security Solutions auswies. Auf allen Papieren stand der Name Jennifer Campbell.
Chad würde seinen Freund aller Wahrscheinlichkeit nach einladen, bei ihnen zu übernachten, und sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie der Mann über die pralle Reisetasche stolperte. Ein Mann wie er wurde vermutlich auch in seinem täglichen Leben von einer grundsätzlichen Paranoia geleitet. Er würde die Tasche öffnen, die gefälschten Ausweise entdecken und … Eilig hatte sie das verräterische Gepäckstück in der hintersten Ecke ihres eigenen Schranks im Schlafzimmer verstaut, das sie sich mit Chad teilte.
Gut. Das hatte sie damit erledigt und lieferte niemandem mehr einen Ansatzpunkt dafür, dass sie für die bösen Jungs arbeitete. Jetzt, Stunden später, wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab und kehrte ins Schlafzimmer zurück, kletterte ins Bett und besah sich den schlafenden Chad. Er schnarchte leise. Sie betete, er möge sich umdrehen und das teure Dessous von Victoria’s Secret an ihr bemerken, das sie gemeinsam aus einem Katalog
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