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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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Hand und drückte ihr eilig ihren Ring hinein. »Nehmt den Jungen mit. Bis ich ihn hole«, bat er. Sein Ton war so drängend, dass Ada nicht über die Antwort nachdachte, sondern den Ring einsteckte und nickte. »Dierk«, befahl der Mann. »Du gehst mit der Frau.«
    Geschmeidig wie ein Wiesel glitt der Junge vom Wagen und kam an Adas Seite. Gleichzeitig sprang der Mann auf den Bock, nicht weniger geschickt als der Junge, was bei seiner muskulösen Masse überraschte.
    Den Jungen neben Ada überkamen Zweifel. »Aber du holst mich doch, Onkel?«
    »Sicher«, sagte sein Onkel, wickelte die Zügel vom Haltehaken los und nahm die Peitsche zur Hand.
    »Komm«, forderte Ada den Jungen auf und lief mit ihm, bis sie außer Atem bei ihrer Kutsche ankamen. »Der Junge kommt mit, Eilert. Und wir können vorfahren, sie lassen uns durch.«
    »Denn man rauf zu mir«, hörte sie Eilert zu dem Jungen sagen, während sie schnell einstieg. »Auf Herrn Stechinelli warten?«, rief Eilert.
    »Ach wo«, rief sie zurück. »Der läuft.«
    Eilert versteckte sein Auflachen hinter einem Husten, dann knallte er mit der Peitsche, und Ada spürte, wie sie ausscherten und die Kolonne im Trab überholten. Sobald sie an dem Wagen des Fuhrknechts vorüber waren, ließ der ebenfalls die Peitsche schnalzen und scherte aus, überholte aber nicht, sondern wendete. »Was machst du da, bist du verrückt?«, brüllte Kaufmann Knoop, dem der Wagen gehörte. Ada steckte den Kopf aus dem Fenster und sah hinter ihnen einen kleinen Tumult ausbrechen, aus dem sich mit puterrotem Gesicht Stechinelli löste, um ein paar Schritte laut schimpfend hinter ihnen her zu rennen.
    »Das wird er uns übelnehmen«, sagte Christopher Carton mit schwacher Stimme.
    Ada sah ihn an, dann von der Wenthe auf dem Boden, und ihr zog sich vor Mitleid das Herz zusammen. »Er nimmt alles übel, der alte Ganter, und recht geschieht es ihm, wenn er sich heute mal ein bisschen die Absätze krumm läuft. So oder so wird er mir nichts als Schwierigkeiten machen.«
    Carton sah sie verblüfft an, und Ada wurde rot, während sie selbst über ihre offenen Worte staunte.
     
    Sobald sie das Tor passiert hatten, ging es mit dem Wagen langsamer voran als zu Fuß. Lüneburg war bereits in Adas Kindheit eine dicht bevölkerte Stadt gewesen, und nun schien der Krieg auch noch die gesamte Landbevölkerung hinter die Stadtmauern getrieben zu haben. So ein Gedränge hatte Ada selten erlebt.
    Sie konnte sich im Gegenteil sogar an geisterhaft leere Gassen erinnern – damals in den Pestjahren, 1624 bis 1626. In jener Zeit war die Bevölkerung der Stadt geschrumpft. Eine Weile hatte es jeden Tag an die vierzig Seuchentote gegeben, darunter Adas Mutter, 1625. Ada war sechs Jahre alt gewesen.
    Ihre Mutter war während eines Besuches bei Adas Tante krank geworden, und in deren Haus war sie auch gestorben. Der Vater hatte ausrichten lassen, er würde sie nicht krank zurück ins Haus nehmen. Es wäre niemand zur Pflege bei der Hand.
    Das mochte seinen Haushalt gerettet haben, denn im Haus der Tante erkrankten und starben fast alle. Ada wusste, dass sie ihrem Vater dankbar für ihr Leben sein sollte, aber ihre Brüder und sie hatten ihn vom Todestag der Mutter an dafür gehasst, dass er ihnen nicht erlaubt hatte, sie noch einmal zu sehen.
    Er machte es ihnen ohnehin leicht, ihn zu verabscheuen, denn er war streng, ohne gerecht zu sein, grob und furchteinflößend.
    Inzwischen waren die Brüder beide tot, und auch dafür gab Ada der Tyrannei ihres Vater die Schuld.
    Gotthard war mit achtzehn weggelaufen und mit zwanzig im Heer der protestantischen Seite umgekommen. Da war Ada sechzehn gewesen.
    Ulrich wurde mit sechsundzwanzig im Wirtshaus erschlagen, wo er zu viel Zeit verbracht hatte. Da war Ada schon zwanzig und hatte gerade ihr eigenes winziges Kind verloren.
    Die bedrückenden Gedanken an ihren Vater ließen es ihr verlockend erscheinen, in einem Gasthaus zu wohnen statt im Vaterhaus, und sie bat Eilert, eines zu finden.
    Er quälte sich mit dem Wagen, an den Cartons Pferd hinten angebunden war, die Rote Straße entlang bis zum Platz am Sande. Dort wurde der Trubel so dicht, dass es nicht mehr vor oder zurück ging. Offene Fuhrwerke voll Waren in Fässern, Säcken und Körben, einer voll Umzugsgut: Truhen, Stühle, Deckenbündel; ein Erntewagen mit einem stinkenden Fuder Mist; Männer mit Lasten auf den Schultern und mit Schubkarren voll Holz; Pferdeknechte mit mehreren Tieren an der Hand, die sich zur

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