Herrin wider Willen
mehr erreichen, sondern nur einen Nachlassverwalter.
Sie blätterte durch die restlichen Papiere. Da war ihre Heiratsurkunde mit einer Abschrift, was für Lorenz’ weise Voraussicht sprach. Cartons verschlossener Brief an seinen Vater, den Ada zur Seite legte, um ihn zurückzugeben. Dann kam ein edler Papierbogen mit Wasserzeichen.
Letztwillige Verfügung seiner gräflichen Gnaden Ludwig von der Wenthe. Die Handschrift war zittriger und schlechter lesbar als die seines Sohnes. Ada buchstabierte sich nur zwei Zeilen durch das Geschriebene, um sicherzugehen, dass es sich um das Schriftstück handelte, welches ihr Gatte ihr vor der Eheschließung vorgelesen hatte.
Der alte Graf von der Wenthe vermachte aus Gründen, die sein Sohn als »streitsüchtigen, altersstarrsinnigen Eigenwillen« bezeichnet hatte, sein Haus, das direkt zugehörige Land, alles bewegliche Gut und die Einnahmen daraus dem Eheweib seines Nachkommen, so »von angesehenem Stand«. Dem Sohn blieben die vom Herzog von Braunschweig verliehenen Lehensgüter, die in diesen unruhigen Zeiten eine zweifelhafte Gabe waren. Je nach weiterem Verlauf des Kriegsgeschehens mochten sie noch auf Jahre keinen Gewinn bringen oder ganz verlorengehen.
Gab es kein Eheweib, blieb das Gut Treuhändern unterstellt und fiele nach Lorenz’ Tod an die Erblinie von Graf Ludwigs Bruder: Graf Ferdinand von der Wenthe-Heidmark.
Ada hatte der Heirat zugestimmt, so wie eine Ertrinkende nach dem Rettungsseil griff. Sie hatte nicht lange darüber nachgedacht, was genau hinter dem Zwist zwischen Lorenz und Ludwig von der Wenthe stecken mochte, auch nicht, warum beide so dringend verhindern wollten, dass Lenz’ Onkel Ferdinand alles erbte. Erst im Nachhinein wurde ihr deutlich, dass es einen wichtigen Grund dafür geben musste, wenn Lenz das Erbe lieber einer fremden Frau zuspielte als seinem Verwandten. Es hätte schließlich an ein Wunder gemahnt, wenn sie nach der einen Nacht ein Kind auf die Welt brachte, welches seine Linie fortführen konnte.
Ada wollte nicht daran denken, was sie anfangen würde, wenn sie ein Kind statt eines Ehemannes zurückbehielt. Solche Überlegungen beunruhigten sie jetzt weit mehr als an jenem Tag am Rande eines Schlachtfeldes.
Die letzten Schriftstücke waren ineinandergefaltet. Ihr Gatte hatte sie ebenfalls am Tag der Heirat verfasst. Es waren sein eigenes Testament und eine Mitteilung an sie.
Verehrte Frau von der Wenthe,
die Ihr bei Erhalt dieses Briefes sein werdet,
ich hoffe, Euch gereicht unser Handel zum Vorteil, und vertraue darauf, dass Ihr angelegentlich meiner letztwilligen Verfügung nach bestem Gewissen handeln werdet.
Bedenkt, dass unten genannte Personae nicht für meine sündigen Verfehlungen büßen dürfen und als unschuldig und hilfsbedürftig behandelt werden müssen. Möget Ihr dies verständiger betrachten als mein nun wohl verstorbener Vater, der darin eine weitere Ursache für das Zerwürfnis zwischen ihm und mir fand. Besonders ans Herz lege ich Euch außerdem die Obwalt und Sorge für das – der Familie in vielerlei Weise verbundene – von der Wenthe’sche Gesinde, wie es jedem mitmenschlich fühlenden Brotherren ohnehin obliegt.
Seid gewarnt, dass mein Onkel, Graf Ferdinand, Euch als Hindernis betrachten könnte, das seiner Inbesitznahme des Gutes entgegensteht. Behaltet im Sinn, dass ihm mitmenschliche Gefühle fremd sind.
Ich wünsche Euch gutes Gelingen für Euren weiteren Weg.
Lorenz v. d. Wenthe
In Rätseln schrieb er, fand Ada, und widmete sich seinem Testament. Die Handschrift ihres Gatten war ein Segen, sie kam gut damit zurecht. Dennoch stockte sie nach den ersten zwei Sätzen und las sie noch einmal von vorn, dann zog sie mit einem Zischen die Luft durch die Zähne ein.
Das Wenthe’sche Familiengut vermachte Lorenz ihr, mit allen Einnahmen. Den ansehnlichen Besitz jedoch, den er in England hatte, der Familie Carton. Mit der Auflage, eine beträchtliche jährliche Summe aus dessen Ertrag treuhänderisch seinem ebenfalls in England lebenden unehelichen Kind und dessen Mutter zugutekommen zu lassen. Eine Unterstützung nach Ermessen sollte die Familie Carton an Ada zahlen, falls sie ein Kind von ihm auf die Welt brachte.
Ada faltete sämtliche Blätter zusammen und band die Schnur darum, so fest, als könnte sie derart die verwirrenden Gedanken bändigen, welche die Lektüre in ihr entfesselt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, was ihr Gatte nun mit ihr anfangen würde. Vielleicht würde er sie
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