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Herrin wider Willen

Herrin wider Willen

Titel: Herrin wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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überblicken konnte. An der Wand beim Kopfende des Bettes standen Truhen. Eine davon erkannte er als seine, sie hatte vor langer Zeit seiner Mutter gehört und im Haus seines Vaters gestanden, bis er dorthin gekommen war, weil … Sein Kopf tat ihm weh, wenn er zurückdachte. Es fiel ihm schwer, seine Erinnerungen zu ordnen, nur langsam setzte sich die Geschichte zusammen.
    Sein Vater war sterbenskrank. Er war mit Christopher zu ihm nach Wenthe gereist.
    Großen Aufwand hatte er getrieben, weil er seinen sterbenden Vater noch hatte sehen wollen, wie es seine Kindespflicht war. Lenz war mit versöhnlichen Gefühlen und besten Absichten gekommen. Doch der alte Mann hatte ihn nicht für einen letzten Segen zu sich zitiert, nicht, um seine Verbundenheit zu zeigen, sondern nur, um ihn bis aufs Blut zu reizen und einen Streit vom Zaun zu brechen. Lenz’ Vater hatte keinen Wert darauf gelegt, in Frieden von seinem Sohn Abschied zu nehmen. Ihm war nur wichtig gewesen, sich noch an Lenz’ Reaktion auf sein Testament weiden zu können.
    Diese kalte Boshaftigkeit hatte Lenz erschüttert, mehr als die Beleidigungen und Vorwürfe oder der Inhalt des Testaments, womit sein Vater ihn hatte strafen wollen. In der Tat konnte Lenz sich an die Einzelheiten der ärgerlichen Auseinandersetzungen mit dem Sterbenden gar nicht mehr erinnern. Nur daran, wie fassungslos und wütend er gewesen war, weil die letzten Gedanken seines Vaters Gemeinheiten galten. Mit solch einem schlechten Bild seines Vorfahren im Gedächtnis musste er nun leben.
    Lenz hatte den Besuch abgebrochen und war mit Christopher abgereist, obwohl der alte Herr noch lebte.
    Dann … dann musste noch etwas geschehen sein, an das er sich aber beim besten Willen nicht erinnern konnte.
    Lenz wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Raum zu, in dem er sich nun befand. Es war Christopher, der da schnarchte, da gab es keinen Zweifel mehr.
    Die zweite Kiste, die er sehen konnte, war ihm unbekannt. Es war eine Aussteuertruhe, um die Hälfte höher als seine, mit allerlei Schnitzereien an der Vorderseite. Ein Hochzeitspaar rechts, eines links, Vögel, Blumen. Ein hübsches Möbelstück. Auf dem Boden davor stand ein eckiger Weidenkorb mit Deckel.
    An einem Wandhaken über den Truhen hing eine spanische Halskrause, sehr feine Spitze, bloß etwas schmutzig und nicht mehr ordentlich gestärkt. Die jungen Frauen in England trugen so etwas kaum noch. Wahrscheinlich gehörte zu dem Kragen die Frau, deren Kleid mit anderen getragenen Wäschestücken unter dem Tischchen beim Fenster lag. Der mochte auch die Kammer gehören, aber welches anständige Frauenzimmer nahm zwei Männer in seine Kammer, einen davon nackt unter seiner Decke? Er wollte nicht spekulieren, wo sie gelandet waren, aber selbst sein schläfrig matter Verstand spürte Neugier.
    »Christopher?«, versuchte er laut zu sagen, war aber zu heiser, um zu seinem Freund durchzudringen, der weiterschnarchte. Statt seiner rührte sich in Lenz’ Rücken auf dem Bett etwas, er fühlte, wie die Matratze schwankte, dann etwas Warmes, das ihn berührte. Jemand atmete ihm ins Ohr.
    »Lenz?«, fragte eine Frauenstimme.
    Sensenmann und Deubel, nun wurde es heikel. Wer war dieses Weib, das ihn offenbar kannte, und das er völlig vergessen hatte? »Hm«, sagte er, um Zeit zu gewinnen, und das war gut, denn sie kletterte aufgeregt aus dem Bett. »Christopher«, sagte sie, so laut, wie Lenz gern selbst gewesen wäre. »Christopher, er ist wach.«
    Als Nächstes tauchte der Kopf seines geliebten Beinahe-Bruders vor Lenz’ Augen auf – knittrig, zerzaust, lange nicht barbiert, aber mit wachen Augen und hoffnungsvoller Miene. Trotz seiner Mattigkeit lächelte Lenz unwillkürlich. Solange nur der Kleine heil und gesund war.
    Christophers Jungenmund zog sich zu einem strahlenden Lächeln in die Breite. »Ich wusste doch, dass du es schaffst, I knew it. Wir bringen dich im Handumdrehen wieder auf die Beine.«
    Lenz brachte ein Brummen hervor, von dem er hoffte, dass es zustimmend klang, fand dann aber, dass er für den Moment genug getan hatte. Er schloss die Augen, und kaum drei Atemzüge später war er wieder eingeschlafen.
     
    Solange Lorenz von der Wenthe in höchster Gefahr gewesen war, hatten Ada und Christopher sich kaum unterhalten. Im Gegenteil, je gesünder Christopher wurde, desto verlegener wurden sie im Umgang miteinander, da sein Aufenthalt in ihrer Kammer als unziemlich galt und manche Peinlichkeit mit sich brachte.
    Umso

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