Herrin wider Willen
erschöpft den Atem aus. »So einem Menschen bin ich noch nie begegnet. Lenz, dagegen war dein Vater ein Lamm.«
Der Angesprochene ließ ein verächtliches Schnalzen hören. »Ts. Mein Vater war nur leiser in seiner Grobheit.«
Ada sah mit Rührung zu, wie Christopher sich auf den Schemel neben Lenz’ Kopf setzte, mit der Miene eines erleichterten Kindes, das zur genesenden Mutter ans Bett kommt. Behutsam nahm er seinem Freund den leeren Bierbecher ab und stellte ihn auf den Boden.
»Danke für mein Leben«, sagte Lenz. Seine Stimme war noch immer rau, und er wirkte bereits wieder erschöpft.
»Ohne deine Gattin hätte ich dich nicht herausgebracht, ohne sie und den Onkel des Jungen.« Christopher zeigte auf Dierk, der stumm abwartend auf der Truhe saß.
Der Junge hatte seine grüne Mütze wieder über die dunkelblonden, langen Locken gestülpt. Als alle ihn ansahen, lächelte er und ließ ein Gebiss sehen, welches so breit war, dass er erst noch hineinwachsen musste. Seine Zähne waren strahlend und gesund, ein selten schöner Anblick. Ada lächelte unwillkürlich zurück. Grüne Augen hatte der Bengel, und der, der ihm die dazu passende Mütze geschenkt hatte, mochte ihm auch beigebracht haben, dass sein Lächeln einen Sack Taler wert war.
»Hast du noch Hunger?«, fragte sie mit einem Lachen in der Stimme.
»Meistens«, gab er zurück, und – Ada hätte es nicht für möglich gehalten – sein Grinsen wurde noch breiter.
Sie lachte und zeigte zum Tisch. »Kannst das aufessen.«
»Es sind noch mehr Sachen in der Kiepe.« Christopher sprang auf und fing an, seine Einkäufe auszupacken und auf den Tisch zu legen.
Ada sah zum Bett und erwischte ihren Gatten dabei, wie er sie musterte, interessiert und abschätzend. »Möchtet Ihr jetzt auch etwas essen?«, fragte sie.
Lenz nickte, dachte aber nicht an Essen.
Im Haus ihres tobsüchtigen, feindlich gesinnten Vaters teilte diese Frau eine Kammer mit zwei Fremden, die ihr bislang nichts als Mühe und Sorge bereitet hatten.
Dazu nahm sie einen vorübergehend verwaisten Halbwüchsigen auf, ebenfalls gegen den Willen ihres Vaters.
Hatte sie so ein großes Herz, oder machte sie nur gute Miene zu allem, weil ihr nichts anderes übrigblieb? Wie sie den Jungen eben angelächelt hatte, das sprach für ein Herz. Es machte ihn ein bisschen neidisch. Mit ihm selbst ging sie weit kühler um. Natürlich konnte es kein Vergnügen für sie gewesen sein, ihn zu pflegen. Er mochte nicht daran denken, was sie wahrscheinlich alles für ihn getan hatte.
»Sagt mir noch einmal Euren Namen«, bat er.
Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Ihre Wangen waren weiß unter der Rosigkeit, die jede ihrer Gemütsregungen begleitete. Rund und samtglatt waren sie außerdem.
Zum ersten Mal stellte Lenz sich die Frage, ob er mit ihr die Ehe vollzogen hatte. Dass er sich daran nicht erinnern konnte, war ihm besonders unangenehm.
Sie musterte ihn ebenso gründlich wie er sie. Die Farbe ihrer Augen war von der Art, die sich bei genauer Betrachtung in Flecken verschiedener Farben auflöste. Mit Blau waren sie schlecht beschrieben, aber ihm fehlte ein besseres Wort.
»Konrade Christiana Henriette. Konrade wie meine Großmutter, Christiana aus christlicher Hoffnung heraus, und Henriette wie meine Tante. Ich habe Euch erlaubt, mich Ada zu nennen, wie meine Brüder es getan haben.«
Lenz schluckte. Das klang nach einem gehörigen Maß an Vertrautheit zwischen ihnen. »Ah. Und … Wie habt Ihr mich genannt?«
Mit einem frechen Lächeln wandte sie sich ab und ging zum Tisch, um zu untersuchen, was Christopher gekauft hatte. »Ihr habt mir erlaubt, Euch alles außer Esel zu nennen. Und das werde ich wohl getan haben.«
6
Für Gotthard Lobeke war Adas unplanmäßige Eheschließung ein größeres Problem, als seine Tochter ahnte.
Sie brachte ihn in ernste Schwierigkeiten. Es wäre alles in bester Ordnung gewesen, wenn sie Matthias Märtens geheiratet hätte. Märtens war von Kind an in Lobekes Geschäft hineingewachsen und seit Jahren seine rechte Hand. Der junge Mann wusste und konnte genug, um sein Nachfolger zu werden. Essig, Stockfisch, Salzgurken, gepökeltes Fleisch und die Kalkulationen, die damit zusammenhingen, waren sein Leben, ebenso wie sie das Leben von Gotthard Lobeke gewesen waren.
Es war unvermeidlich gewesen, dass Märtens auch Dinge erfuhr, die nicht für Leute außerhalb des Hauses Lobeke bestimmt waren. In jeder Hinsicht war es daher wichtig, ihn fest an das
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