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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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genau die gleichen Zweifel gehegt? Hatte er nicht eine Flut von Einwänden gegen ihn vorgebracht und zuletzt alles Mögliche und einen Scharlatan in ihm sehen wollen, nur nicht den, der er wirklich war? Möglicherweise war er tatsächlich paranoid. Er dachte einige Minuten darüber nach, sprang dann hoch und riss alle Schubladen in der Küche auf. In der Besteckschublade fand er ein großes Messer, einen kleinen Schraubenzieher und eine Taschenlampe. Damit lief er hinaus in die Nacht und schlich auf der Serpentinenstraße hinunter bis zum nächsten baugleichen Bungalow.
    Dort brannte kein Licht und hatte auch die letzten Tage, soweit er sich erinnern konnte, keins gebrannt. Die Fensterläden waren verschlossen, das Haus erkennbar unvermietet. Er leuchtete die Front und den Garten ab, überzeugte sich, dass niemand ihn beobachtete, und brach dann mit Messer und Schraubenzieher den Briefkasten auf. Er fand eine in Plastik eingeschweißte Mitteilung des Hotels an den nächsten Gast, dazu Werbezettel für Restaurants und Tauchschulen, die gleichen, die auch in Helens Briefkasten gesteckt hatten. Er fand alles Mögliche. Aber den Wurfzettel einer Psychologenpraxis fand er nicht.
    Während er noch auf die Papiere in seiner Hand starrte, wurde es hell im Garten. Auf der anderen Straßenseite, ein paar Schritte den Hügel hinauf, war im Obergeschoss eines Hauses das Licht angegangen. Hinter geblümten Gardinen bewegten sich zwei schlanke Schatten aufeinander zu. Carl dachte kurz nach, marschierte mit dem Bündel Wurfsendungen in der Hand dorthin und drückte den Klingelknopf. Nach einer Weile öffnete die Tür sich einen Spaltbreit. Leise Musik war zu hören.
    «Haben Sie in den letzten Tagen in Ihren Briefkasten gesehen?»
    «Bitte?»
    «Haben Sie in den letzten lagen in Ihren Briefkasten gesehen?»
    Die Tür öffnete sich weiter. Ein junger Mann und dann noch ein junger Mann sahen ihn ein wenig verwirrt an. Beide trugen weiße Bademäntel, und die Haare des einen waren nass. Mit ihren Blicken folgten sie Carls Handbewegungen, besonders denen der Hand, die das Messer hielt. Sie hörten sehr ernst zu und antworteten endlich ebenso ernst. Ja, sie wohnten schon länger hier, fast ein halbes Jahr, und sie hätten regelmäßig ihren Briefkasten geleert. Einer von ihnen sei Journalist und korrespondiere mit Paris … und Probleme mit der Postzustellung habe es bisher keine gegeben. Sie seien beruflich darauf angewiesen, einen Werbezettel einer Psychologenpraxis hätten sie nicht bekommen. Nein, ganz sicher. Das wäre ihnen aufgefallen. Sie könnten aber auch gern noch einmal nachschauen, wenn es ihm – wie war der Name noch? – so wichtig sei.
    Mit gesenktem Kopf wartete Carl vor der Tür. Der eine verschwand im Haus, während der andere an der Tür stehen blieb und seinen sich immer wieder öffnenden Bademantel ordnete. Nachbarn seien sie also … interessant. Und eine Psychologenpraxis, tatsächlich? Hier zum Sheraton gehörig? Für Touristen? Nein, das könne er sich, er bitte um Verzeihung, kaum vorstellen. Nicht dass er Vorurteile habe, er habe sich selbst schon mehr als einmal in Behandlung begeben, in New Jersey übrigens, wenn auch nur interessehalber und nicht sogenannter tatsächlicher Probleme wegen. Aber dass es hier dergleichen gebe, erstaune ihn doch. Psychologie in Afrika, sei das nicht, als versuche man, Eskimos Kühlschränke zu verkaufen?
    Angestrengt starrte Carl an ihm vorbei in das Dunkel des Hauses.
    Mit einem Bündel Reklame und aufgerissenen Briefumschlägen kam der andere zur Tür zurück und bestätigte bedauernd, keinen Werbezettel erhalten zu haben.
    «Aber Sie haben einen bekommen oder was? Und jetzt brauchen Sie psychologische Betreuung? Nein?»
    Beide Männer fingen im selben Moment auf eine sehr eigenartige Weise zu lächeln an, und Carl, der nicht wusste, ob sie einfach nur freundlich sein oder sich über ihn lustig machen wollten, verabschiedete sich eilig.
    Er warf den Schraubenzieher, das Messer und den Packen Papier, den er noch in der Hand hielt, irgendwo ins Gebüsch und irrte dann die kleinen Gassen den Hügel hinauf. Niemand hatte einen Werbezettel erhalten, es hatte also keine Zettel gegeben. Allein in Helens Bungalow war einer eingeworfen worden. In dem Briefkasten des einzigen Bungalows in dieser Stadt, in dem jemand wohnte, der wirklich Probleme hatte.
    Carl hatte Schwierigkeiten, die Straße mit der Praxis wiederzufinden. Erst an der Haustür, die er nach seinem Abschied von Dr.

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