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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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hatten, gingen sie nicht ins Hafenviertel. Canisades hatte Polidorio gebeten, sich diesen Termin freizuhalten, aber nicht verraten, wohin er wollte, und Polidorio hatte das mit verhaltener Begeisterung aufgenommen.
    «Nicht zu den Scheißamis», sagte er, als er Canisades in seinem besten Anzug sah, «bitte nicht zu den Scheißamis», und Canisades sagte: «Stell dich nicht so an.»
    Im ersten Gang kroch der Polizeiwagen die Serpentinenstraße am Küstengebirge hinauf und hielt gegenüber einer prächtigen Villa aus den vierziger Jahren, zwischen schwarzen Limousinen und Cabrios mit weißen Reifen. Die Villa gehörte einem der beiden amerikanischen Schriftsteller, die in der Stadt lebten. Sie war von einer hohen, weißen Mauer mit überdimensioniertem Art-deco-Portal umgeben, vor dem sich tagsüber gerne Touristen fotografieren ließen. Das Portal bestand aus zwei stilisierten Papyrusbündelsäulen, davor androgyne Jünglinge mit schlanken Marmorkörpern, deren Füße in klaffender Schrittstellung in der Luft schwebten, als liefen sie aufeinander zu. Der linke Läufer trug einen Hammer und ein Dreieckslineal in der Armbeuge, er lächelte. Der rechte hatte eine Peitsche und ein Gitter in der Hand, und eine tiefe, gesäßartige Einkerbung auf seiner Stirn drückte bildhauerisch zweifelhaften Zorn aus. Schon dreißig Jahre nach Errichtung der Villa wusste kein Mensch mehr das symbolische Programm zu deuten.
    Klirren und Gelächter einer Party drangen über die Mauern, und Polidorio fragte seufzend, welcher der beiden Schriftsteller hier wohne.
    «Kneif einfach die Fuge zusammen.» Canisades zog am Klingelband.
    «Es interessiert mich wirklich.»
    «Dann lies mal eins von ihren Büchern.»
    «Hab ich versucht. Also, wer wohnt hier?»
    «Es gibt eine Eselsbrücke», sagte Canisades. «Die Dinger da sehen aus wie Schachfiguren.»
    Es gab, soweit Polidorio das beurteilen konnte, eine Menge Amerikaner in Canisades’ Bekanntenkreis, die drei Gemeinsamkeiten hatten: Sie machten irgendwas mit Kunst, irgendwas mit Drogen und dann noch irgendwas Krankes mit Sexualität. Die beiden auffälligsten waren die Schriftsteller, die Canisades um der leichteren Unterscheidung willen Spasski und Moleskine getauft hatte. Beide galten als Anwärter auf den Literaturnobelpreis, Spasski schon länger, Moleskine erst seit kurzem und eher als Geheimfavorit.
    Spasski kam aus Vermont und sah sich selbst nicht so sehr als Amerikaner. Seiner Ansicht nach entsprach er eher dem distinguiert-europäischen Typus. Er trug Anzüge aus Paris, begeisterte sich für den technischen Fortschritt und verachtete seinen Kollegen für dessen rückständiges Notizbuch. Er hämmerte mit großer Disziplin jeden Tag genau vier Seiten in eine schwarze Reiseschreibmaschine und versuchte abends auf der Corniche, die Sizilianische Verteidigung einheimischer Stricher aufzubrechen.
    Warum er sich dem Schachspiel mit aller Macht und Leidenschaft ergeben hatte, war nicht ganz klar. Er beherrschte es allenfalls amateurhaft und machte keine Fortschritte. In seinem letzten Buch gab es eine Szene, in der der geheimnisvolle Held, aus dunkler Unterschicht emporgetaucht, seinen messerscharfen Intellekt demonstrierte, indem er einen serbischen Großmeister en passant mit der Eröffnung b2-b4 vom Brett fegte, plus Damenopfer im Mittelspiel. Ein Kritiker der New York Times merkte dazu an, er habe diese Szene so oder so ähnlich bereits in zwei anderen Büchern desselben Autors gelesen; vierzehn Tage später erhielt die Redaktion ein schmales Luftpostpaket aus Afrika, das nichts weiter enthielt als eine verwesende Ratte.
    Moleskine dagegen bevorzugte männlichere Themen. Er war vom schlanken, asthenischen Typus, litt an den Spätfolgen einer nicht ausgeheilten Tbc und hatte einen Doktor der Philosophie, was er in Gesellschaft gern verschwieg. Das bekannteste Foto zeigte ihn in Boxhandschuhen. Das zweitbekannteste zeigte, wie er am Strand von Targat stehend mit heruntergelassenen Hosen auf Das Damengambit des Kollegen Spasski urinierte.
    Er sammelte historische Waffen und hatte kurz nach seiner Ankunft in Targat eine Art homosexueller Wehrsportverbindung gegründet. Für eine Reihe zwölfjähriger Knaben ließ er in Marseille weiße Hosen und prächtige blaue Uniformröcke schneidern, stattete sie mit realistisch aussehenden Spielzeuggewehren aus und veranstaltete in der nahe gelegenen Wüste als Oberbefehlshaber der kleinen Truppe paramilitärische Manöver, bei denen vor allem der

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