Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
Vom Netzwerk:
Er lachte. Er würde auf einen Kamelmarkt gehen und einem zehn Dollar geben, damit er dem Kamel ein zweites Bein hochband. Vorne rechts und hinten links. Oder vorne rechts und hinten rechts. Zehn Dollar. Aber dann Bein hoch und gucken. Verrückter Einfall! Lundgren malte es sich aus. Köstlich. Er würde jemandem davon erzählen, wenn er jemandem davon erzählen könnte. Wenn er fertig war mit seinem Auftrag hier. Erst Auftrag, dann Kamel. Dann Beauty-Queen. Oder erst Beauty-Queen, dann Kamel. Er lachte Tränen. Als er die Augen wieder öffnete, saß neben ihm am Tisch ein Mann. Der Mann in sonnengebräunter Kleidung und karierter Haut. Lundgren stellte in Sekundenbruchteilen die professionelle Fassade wieder auf. Kawock! Da saß ein Mann neben ihm. Er sah ihn aus den Augenwinkeln. Er bemühte sich, woanders hinzusehen. Da war der Mann. Der Mann, der Mann, der Mann.
    Der Mann bestellte Tee. Drei Minuten Schweigen. Dann hielt Lundgren es nicht mehr aus und fragte: «Wie heißen Sie?»
    Der Mann hatte gerade sein Teeglas zum Mund geführt, hielt in der Bewegung inne und sagte bedächtig: «Ja.»
    «Wie heißen Sie?», wiederholte Lundgren leise. «Ja!», erwiderte der Mann ebenso leise. «Was ist los?»
    «Was?»
    «Wie Sie heißen!»
    «Wie?»
    Der Karierte schaute ängstlich die Straße hinunter, um das Terrain zu erkunden, wedelte unauffällig mit der Hand, um die Lautstärke des Gesprächs herunterzudämpfen, und flüsterte kaum hörbar: «Wie heißen Sie?»
    «Sie zuerst», sagte Lundgren.
    «Sie haben angefangen.»
    «Was?»
    «Sie haben doch angefangen.»
    «Na schön», sagte Lundgren und ahmte die Handbewegung des anderen nach. «Herrlichkoffer.»
    «Was?»
    «Herrlichkoffer. Nicht so laut. Oder Lundgren. Für Sie Herrlichkoffer.»
    «Für mich Herrlichkoffer.»
    «Ja! Und jetzt schreiben Sie Ihren Namen hier – hier – hier.»
    Lundgren zog einen Block aus der Tasche und schob ihn über den Tisch. Der Karierte malte sieben Druckbuchstaben auf das Papier. Nur wenig später lief Lundgren auf seine Pension zu. Ein unbeschreibliches Gefühl nach all der Aufregung. Alles klar! Sein Gehirn funkte die Meldung raus, dass erfolgreich nach Öl gebohrt wurde. Ein Telefon wäre jetzt hilfreich gewesen. Die Wüste brennt, Wüste mit u. Aber da war kein Telefon. So ging die Meldung von Lundgrens Gehirn nur an Lundgrens Gehirn: QZ ausgeführt stop die Wüste brennt stop Cj auf Oelgestossen.
    Nein, Quatsch. ZU, nicht QZ! Jetzt nur keine Fehler.

    SCHWARZWEISS
     
    Ich bin da wie jeder andere, ich sehe lieber schlechte amerikanische Filme als schlechte norwegische Filme.
    Godard
     
    Canisades schaltete den Fernseher ein, hob die Füße auf den Schreibtisch und starrte lange auf den schwarzen Bildschirm. Die Bildröhre fing an zu knistern, eine grisselige Analoguhr erschien. Es war zwei Minuten vor sechs.
    Canisades hatte den Nachmittag im Krankenhaus mit dem Versuch herumgebracht, das mutmaßliche Opfer einer Massenvergewaltigung zu befragen, und war nun zu müde, das Protokoll zu beginnen. Er konnte es sich im Grunde auch sparen. Drei Cousins des Opfers hatten am Krankenbett Wache gehalten und dafür gesorgt, dass er das Mädchen nicht zu Gesicht bekam. Nur durch Vermittlung einer Ärztin war es möglich gewesen, ein Gespräch durch einen improvisierten, weißen Vorhang hindurch zu führen. Das Ergebnis war so unspektakulär wie vorhersehbar: keine Vergewaltigung, sondern ein Sturz von der Treppe. Canisades musste sich von der Ärztin die Art der Verletzungen, die Lage der Blutergüsse, büschelweise ausgerissene Haare und Platzwunden beschreiben lassen. Er stellte die Namen der Cousins fest, von denen zwei der Beteiligung an der Vergewaltigung beschuldigt wurden und die ihn ungerührt, fast heiter verabschiedeten. Zur Anzeige gebracht hatte das Ganze die elfjährige Schwester des Opfers, die durch ein Fenster zugeschaut hatte und zur Polizei gelaufen war, wo sie das Unglück gehabt hatte, auf einen unbestechlichen Beamten zu treffen. Jetzt saß das Mädchen irgendwo im Zentralkommissariat, eine Strohpuppe und Targats einzige Anwältin an ihrer Seite, und ahnte möglicherweise bereits, dass der schönere Teil ihres Lebens vorbei war.
    «Du schaust fern?» Asiz latschte kaugummikauend durch das Zimmer, warf eine Akte auf den Schreibtisch, kratzte sich am Rücken und verschwand im Nebenzimmer.
    «Was?», schrie Canisades ihm hinterher.
    «Die Akte.»
    «Was soll ich damit?»
    «Die Fingerabdrücke.»
    «Was für

Weitere Kostenlose Bücher