Herrndorf, Wolfgang - Sand
Lineal.»
«Ergebnis?»
«Ich 130, Polidorio 102.»
«Ergebnis! Seid ihr jetzt intelligent oder nicht?»
«Also, na ja», sagte Canisades, «so mittel. Nichts Besonderes.»
«So mittel! Weißt du, was ich mit dir und deinem mittel machen kann?»
Wütend schaute er auf den Schreibtisch vor sich. Er hatte den Faden verloren, aber bevor Canisades die nächste Nebelkerze werfen konnte, sagte der General: «Und was sind das überhaupt für bescheuerte Namen? Adolphe Aun!»
«Hat Polidorio sich ausgedacht.»
«Ist das Deutsch?»
«Keine Ahnung.»
«Und hier, Didier … und Bertrand, ist das dein Ernst? Seid ihr schwul? Seid ihr ein Schwuchtelpärchen?»
«Tut mir leid, Chef.»
«Es tut dir leid, es tut dir leid!» Mit einem Mal änderte sich der Gesichtsausdruck des Generals, und milde blickend fetzte er die Ausweise in kleine Schnipsel. «Du wirst mir jetzt einen Gefallen tun. Wirst du das?»
Also darauf lief es hinaus.
«Selbstverständlich.»
«Was weißt du von diesem Amadou? Der Mörder, der aus dem Transporter ausgebrochen ist.»
«Da kümmert sich Karimi drum.»
«Das ist mir klar. Deine Einschätzung.»
«Pfff.» Canisades dachte angestrengt nach. Es schien ihm angebracht, sich vorsichtig von seinem Kollegen zu distanzieren. «Karimi macht halt, was er immer macht. Er hat jetzt einen zweiten Bulldozer angefordert, um das Salzviertel zusammenzufahren.»
«Einschätzung!»
«Wohl mehr zu seinem Privatvergnügen. Würd ich sagen. Dieser Amadou ist doch viel zu bekloppt, um länger als fünf Minuten irgendwo unterzutauchen.»
Damit hatte Canisades offensichtlich einen Treffer gelandet, und etwas freundlicher fuhr der General fort: «Freilich ist Amadou zu bekloppt. Aber das ist genau das Problem. Weil er nämlich bekloppt ist, hat er nicht gemerkt, wie bekloppt er eigentlich ist. Von allein wäre der doch nie aus dem Transporter rausgekommen. Und er war leider auch bekloppt genug, nicht zu merken, dass er einen Helfer hatte. Mit anderen Worten, er ist nicht nur unseren Gendarmen entwischt, sondern auch unserem … seinem … wie auch immer. Wir wissen seit 48 Stunden nicht mehr, wo er ist. Amadou ist unauffindbar. Und was ich jetzt will und was Karimi nicht begreift, ist… dass Amadou auch weiterhin unauffindbar bleibt, capisce?»
Die beiden Schlitze im Gesichtsfleisch verengten sich. Canisades nickte, hielt sich den Zeigefinger an den Hinterkopf und drückte den Daumenabzug.
«Nein, nein, nein!», rief der General. «Unauffindbar im Sinne von unauffindbar. Red ich Chinesisch oder was? Karimi begreift es nicht, und du begreifst es auch nicht? Der arme Junge kann doch nichts dafür, dass er … da kann er doch nichts für. Der ist in traurigsten Verhältnissen aufgewachsen, den hat das Leben hart angefasst, der hat sich nie was zuschulden kommen lassen. Das ist doch nicht so schwer zu begreifen! Der hat ganz in Frieden in Tindirma gelebt und seine Ziegen gehütet, bis diese Hippiegammler da eingezogen sind und ihn provoziert haben. Lange hat Amadou sich das ruhig mitangesehen … aber irgendwann ist ihm dann doch der Kragen geplatzt. Wie jedem normalen Menschen. Und er hat ein bisschen überreagiert. So könnte man das formulieren. Nur dass das ein feiner Kerl ist, eigentlich. Der Amadou. Capisce?»
«Sie meinen –»
«Ich meine, der tut uns nichts. Ganz einfach. Und wir tun ihm auch nichts. Und dafür bist du jetzt zuständig.»
«Und Karimi?»
«Karimi gibt den Fall ab. Hat ihn schon abgegeben. Und ich erwarte … hast du wenigstens begriffen, was ich von dir erwarte?»
«Nichtstun.»
«Da hat sich der Intelligenztest ja doch gelohnt.»
«Muss ich dazu noch irgendwas wissen?»
«Nein.» Der General patschte seine fetten Hände zusammen. «Musst du nicht. Wobei, kann ich dir auch sagen, ist wurscht. Das hat keine besonders geheimnisvollen Gründe. Aber wie sich vor ein paar Tagen rausstellte, ist Amadou der Enkel der Putzfrau des Innenministers. Oder des Staatssekretärs im Innenministerium oder was auch immer. Geht uns nichts an. Hohes Tier … und wenn man mir eine Anweisung gibt, dann halte ich mich daran. Capisce? Nicht wie Karimi, der blöde Hund. Und deshalb brauchen wir jetzt jemand, der sich ebenfalls daran halten kann. Dann ist die Sache nämlich ganz einfach. Du nimmst dir ein paar Leute und begibst dich auf die Suche nach Amadou. Der in Wahrheit natürlich auch überhaupt nicht bekloppt ist, sondern durchtrieben wie alle diese Ziegenhirten. Und wie sucht man so einen? Man
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