Herrschaft der Alten (Roman) (Science Fiction Thriller /Herrschaft der Alten Gesamtausgabe) (German Edition)
Grund fiel ihm jetzt ein, wie seine Mutter zu seinem zwölften Geburtstag einen Kuchen ohne Hilfe des häuslichen Computersystems gebacken hatte. Aber das System war unbestechlich gewesen. Die Daten in der Kalorienrechnung, die biometrischen Daten, das alles passte später nicht mehr zusammen und es schien zunächst unmöglich, die auf einen Sozialbetrug zur Erschleichung von günstigeren Krankenversicherungsbeiträgen abzielende, immer bohrendere Fragefunktion auszuschalten. Aber Benn – schon damals ein kleines Computergenie - hatte schließlich einen Weg gefunden und sie hatten schließlich darüber gelacht. Ein befreites Lachen von zwei Verbündeten gegenüber einem allgegenwärtigen Kontrollsystem, deren kleine Verschwörung schließlich Erfolg gehabt hatte. Benn musste bei dem Gedanken unwillkürlich lächeln und gleichzeitig spürte er den Schmerz des drohenden Verlustes wie einen Stich.
„Nichts?“, fragte Sara verwundert, weil er noch nicht geantwortet hatte. „Du vermisst wirklich gar nichts?“
Doch, so vieles!, ging es ihm durch den Kopf. Aber er sagte es nicht, denn er hatte das Gefühl, dass er diese übermächtigen Gefühle nicht mehr unter Kontrolle halten konnte, wenn er aussprach, was er verlieren würde.
„Nicht viel“, sagte er schließlich.
Es war ziemlich spät, als Benn sich auf den Weg nach Hause machte. Der Personengleiter, in dem er saß, war voll besetzt. Das Durchschnittsalter der etwa zwei Dutzend Insassen schätzte Benn auf etwa neunzig bis hundert. Daran änderte nicht einmal der Junge von etwa fünf Jahren etwas, der wohl in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung zu der Achtzigjährigen auf seiner Linken stand. Da der Kleine sie mit Mama anredete, sie aber trotz aller Fortschritte der Reproduktionsmedizin nicht dafür in Frage kam, das Kind selbst auf die Welt gebracht zu haben, vermutete Benn, dass der Junge von einer Leihmutter ausgetragen worden war.
Deutschland hatte zu den letzten Ländern gehört, in denen Leihmutterschaft legalisiert worden war. Aber der Druck der demografischen Entwicklung war schließlich übermächtig geworden.
Der Junge saß vollkommen ruhig da und blickte mit weit aufgerissenen Augen scheinbar ins Nichts. Manchmal konnte man innerhalb seines linken Auges ein paar Lichtblitze sehen.
Vermutlich spielte er gerade ein Online-Spiel oder sah sich einfach nur einen Film an. Jedenfalls war er beschäftigt.
Zwischenzeitlich bohrte er selbstvergessen in der Nase und aß das Gefundene auf.
Benn blickte aus dem Seitenfenster, als ihn eine Nachricht von Nicolas erreichte. Benn ließ sie sich auf seiner Netzhaut anzeigen.
>Ich hoffe, du hast alles festgebunden. Der Wirbelsturm ist gleich da!<
Zur Nachricht gehörte auch ein animiertes Gesicht von Nicolas. Er hatte wirres Haar und wirkte auf Außenstehende immer sehr locker. Erst wenn man ihn besser kannte, wusste man, dass er keineswegs so oberflächlich war, wie er gerne tat. Und vor allem, dass er mehr drauf hatte, als die meisten jemandem zutrauten, der weit davon entfernt war, irgendeinen Bildungsabschluss erreichen zu können. Benn hatte ihm wiederholt geholfen, seine Online-Kurse zu deaktivieren, ohne dass seine Netzverbindung verloren ging.
Nicolas' animiertes Gesicht zwinkerte ihm zu und grinste dabei.
Die Animation hatte Benn erstellt. Allerdings war das schon ein paar Jahre her und inzwischen konnte Benn so etwas mit sehr viel mehr Perfektion programmieren. Aber Nicolas benutzte die Animation immer noch in seinen Nachrichten an ihn. Es war so etwas wie ein Echtheitszertifikat dafür, dass die Nachricht tatsächlich von ihm stammte.
Benn fiel ein, dass er in den letzten Stunden den Wetterbericht in seiner Netzhautanzeige deaktiviert hatte. Während seines Treffens mit Sara hatte er davon nicht andauernd abgelenkt werden wollen. Und ein Sturm kam eben, wenn er kam. Daran ließ sich nichts ändern und er kam auch nicht schneller oder langsamer, wenn Benn dauernd den Wetterbericht checkte.
Ein Impuls seiner Gehirnströme schaltete diese Anzeige jedoch nun wieder ein. Nicolas hatte recht: Draußen war es sehr dunkel. Zu dunkel, wie Benn in diesem Moment schlagartig klar wurde. Normalerweise war der Nachthimmel von den Abertausenden von Positionslichtern der Schweber erfüllt, die zu jeder Tages- und Nachtzeit in ihren endlosen Kolonnen vorüberzogen. Neue Sterne nannte man sie manchmal, denn die eigentlichen Sterne konnte man am Nachthimmel größerer Städte schon seit hundert Jahren kaum
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