Herrschaft der Alten (Roman) (Science Fiction Thriller /Herrschaft der Alten Gesamtausgabe) (German Edition)
Kopf. Der alte Sack soll ruhig merken, was er an mir hat ...
„Ich denke, es gibt unangenehmere Stellen zur Ableistung der Sozialstunden“, sagte Kevin Mölders nun. „Bei mir musst du, abgesehen von der programmtechnischen Instandhaltung meines Pflege-Equipments und diverser anderer Geräte nur noch meinen Monologen lauschen und kannst daraus auch noch was lernen, was dir mit Sicherheit kein Download-Bildungskurs bieten kann.“
Aha, dachte Benn. Er meint also, dass ich ihm dankbar sein sollte! Verkehrte Welt! Oder nur eine Frage des Standpunktes?
Wahrscheinlich fehlte Mölders seine Dozententätigkeit. Ein Gelehrter, der seine Weisheit einer Schar ergebener Jünger weitergab, das schien Mölders als die Rolle seines Lebens zu empfinden. Aber die Zeit war vorbei. Ein für alle Mal. Nicht nur, dass Mölders' Gesundheit das heute nicht mehr zuließ, nein, er war einfach zu altmodisch, als dass er in dem mehr und mehr auf Eigeninitiative und Selbsttätigkeit ausgerichteten Bildungssystem einen Platz gefunden hätte. Vielleicht hätte er rechtzeitig seinen eigenen Videokanal im Netz etablieren sollen!, dachte Benn. Eigentlich war nicht einmal seine Krankheit und Gebrechlichkeit dafür ein Hinderungsgrund. Aber vermutlich bestand eben doch ein Unterschied darin, einfach nur ein paar dahingeworfene Ansichten vor sich hin zu murmeln, denen ein Sozialstundenleister mehr oder minder gezwungenermaßen zuhören musste, als tatsächlich ein Programm zu liefern, das noch eine zumindest zweistellige Zahl von Netzusern zum Anklicken bewegte.
Nein, dachte Benn, zu mehr als dem gelegentlichen Monolog mit unklarer thematischer Ausrichtung, den ich exklusiv genießen darf, reicht es bei ihm wohl einfach nicht mehr. Nicht nur die Kraft seines Körpers, auch die seines Geistes hatte in den letzten Jahren erheblich nachgelassen.
Eines Tages, überlegte Benn, wird es mir genauso gehen. Dann werde auch ich alt und verbraucht sein und meine Holo-Drama-Charaktere werden niemanden mehr interessieren. Vielleicht werde ich dann nicht einmal mehr verstehen, was ich inzwischen falsch mache und warum nichts mehr funktionieren will, was mir früher leicht erschien.
Der Klang von Mölders' Stimme half Benn dabei, diesen deprimierenden Gedanken ebenso zu verdrängen, wie die bohrende Frage, ob inzwischen wohl Nicolas' Gleiter bereits von einem Trupp Bundesforce-Beamten umstellt war und kurz vor der Erstürmung durch unsichtbare Anti-Terror-Kämpfer stand.
Nicolas hatte ihm eine Nachricht zukommen lassen, aber Benn hatte sie nicht beantwortet.
Vorerst jedenfalls.
Alles stand jetzt womöglich auf dem Spiel. Und das wirklich Blöde daran war, dass keiner von ihnen den Ausgang dieses Spiels noch beeinflussen konnte. Jedenfalls nicht, was die Sache mit Nicolas anging.
„Eigentlich kaum zu glauben, dass es früher in Europa mal völlige Freizügigkeit gab und man die Grenzkontrollen nicht nur für Waren, sondern auch für Personen völlig abgeschafft hatte“, sagte Mölders. „Das würde heute niemand mehr einführen, weil dann sofort alle, die jung, leistungsfähig und gesund sind, dorthin gehen würden, wo sie keine Abgaben leisten müssten und wo man es ihnen gestatten würde, ihre hilflosen Alten und Uralten zu vergessen.“
„Die Alten und Uralten sind nicht hilflos“, sagte Benn. „Nicht im eigentlichen Sinn des Wortes jedenfalls. Auf sie ist doch alles ausgerichtet. Für sie sind die Gesetze gemacht, für sie wird alles getan und sie beherrschen durch ihre schiere Zahl unsere Gesellschaft. Für jemanden, der alt ist, gibt es eigentlich keinen Grund zu klagen.“
„Jeder wird irgendwann mal alt sein, Benn. Zumindest, wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt wie ein Gleiterunfall oder so etwas. Insofern scheint das System doch gerecht zu sein, findest du etwa nicht?“
„Naja, ob Gerechtigkeit dafür das richtige Wort ist, weiß ich nicht.“
„Veränderungen sind niemals gerecht“, sagte Mölders und ließ sein Antigrav-Aggregat etwas emporfliegen, inzwischen funktionierte die Steuerung einwandfrei und war nahezu perfekt auf die Gehirnströme des alten Mannes abgestimmt. „Früher mal bedeutete eine Familie Mutter, Vater und viele Kinder. Heute besteht eine Familie aus einem Kind und mehreren immer noch lebenden Vorfahren erster, zweiter, dritter oder vierter Generation. Und dabei muss man bedenken, dass jeder Mensch zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern, sechzehn Ur-Urgroßeltern und so weiter hat. Von
Weitere Kostenlose Bücher