Herrschaft der Alten (Roman) (Science Fiction Thriller /Herrschaft der Alten Gesamtausgabe) (German Edition)
Stiefeltern will ich gar nicht erst anfangen zu reden! Also wenn sich heute eine Sippe unter dem Weihnachtsbaum trifft, dann sind da eine Menge alter und uralter Leute und nur sehr wenig junge. Und mit jeder weiteren Generation wird sich dieser Effekt verstärken – auch übrigens mit jedem Jahr an durchschnittlicher Lebenserwartung.“ Mölders atmete tief durch, was sich anhörte wie ein erschöpftes Keuchen nach einem Hundertmeterlauf.
Ich lasse ihn jetzt lieber reden!, dachte Benn. Dann ging die Zeit schneller herum und im übrigen war es ohnehin sinnlos, den Versuch zu unternehmen, ihn zu stoppen. Seine Muskeln mochten schwächer geworden sein, sein Geist nur noch sporadisch die alte Klasse aufblitzen lassen, aber sein Wille war geblieben. Ein in vielen Jahrzehnten gestählter Wille, gegen den kein Jüngerer eine Chance hatte, sich durchzusetzen. Vielleicht, so ging es Benn durch den Kopf, war auch dieser Umstand ein Teil des Problems zwischen den Generationen.
Die Alten und Uralten hielten die Herrschaft nicht nur deshalb in allen gesellschaftlichen Bereichen so unangefochten in den Händen, weil sie den jungen Bürgern in jeder – außer in körperlicher – Hinsicht haushoch überlegen waren. Sie hatten den eisernen Willen. Sie kannten alle Tricks und ihre immer länger werdenden Berufskarrieren sorgten dafür, dass die Jungen nicht nur auf die Reisefreiheit, sondern auch auf das Erreichen von Führungspositionen so lange warten mussten, bis sie selbst alt geworden waren.
„Stell dir vor, als ich jung war und die ganze Verwandtschaft sich zu Opas Geburtstag versammelt hat, da haben die Cousins des einen Zweigs der Familie gegen die Cousins des anderen Zweigs Fußball gespielt. Ich nehme an, davon träumst du nur, oder?“
„Sportliche Wettbewerbe gibt es schon lange nicht mehr“, meinte Benn. „Ist doch viel zu gefährlich – da stünde gleich die Krankenversicherung auf der Matte ... Nur Fitnesstraining ist noch erlaubt – ach, was sage ich: Nicht nur erlaubt, sondern vorgeschrieben.“
„Das ist nicht der Punkt, auf den ich hinauswollte“, unterbrach Mölders Benn.
„Nein? Aber so ist es doch: Sport ja, aber bitte nichts Gefährliches wie Fußballspielen oder Free Climbing. Besser nur Yoga und Gymnastik!“
„Schon zu meiner Zeit gab es immer weniger Bolzplätze, weil Anwohner sich über den Lärm beschwerten, Benn! Aber ich will auf etwas anders hinaus: Du scheinst nicht einmal mehr zu wissen, was ein Cousin ist.“
„Ich glaube, mein Freund Nicolas hat einen. Aber da bin ich mir nicht mehr hundertprozentig sicher. Ich glaube, wenn es ein Mädchen ist, sagt man Cousine, oder?“
Mölders seufzte erneut. „Das kommt heute offenbar so selten vor, dass die meisten nicht einmal mehr das Wort kennen.“
Benn war jetzt tatsächlich etwas verwirrt.
„Worauf wollten Sie denn nun eigentlich hinaus?“
„Darauf, dass ihr nur sehr wenige seid und wir sehr viele. Ganz einfach. Für mich gibt es keinen besseren Ort, als dieses Land. Eine Reise zu den Mars-Kolonien kann ich mir nicht leisten. Und der Vorteil der geringen Schwerkraft dort oben wird durch den Nachteil aufgehoben, dass die medizinische Notfallmedizin nicht optimal ist. Wie du weißt, ist es ja schon ein paar Mal vorgekommen, dass mein Pflegeroboter im Angesicht meiner Erstickungsanfälle kapituliert hat.“ Er machte eine Pause und schien sich beim Sprechen jetzt mehr als sonst anstrengen zu müssen. „Was ich sagen wollte ist: Wenn ich an deiner Stelle wäre, dann würde ich zusehen, möglichst schnell über die Grenze zu kommen und mein Glück irgendwo zu versuchen, wo man mir wenigstens die Chance auf eine Zukunft gibt.“
„Leider ist es für jemanden, der noch nicht fünfundsiebzig Jahre alt ist, nahezu unmöglich, über die Grenze zu kommen“, erwiderte Benn, der für einen Moment wie erstarrt wirkte. Es war das blanke Entsetzen, das ihn in diesem Moment derart lähmte, dass er kaum in der Lage war zu atmen.
„Es wundert sich sicher, dass ich so etwas sage. Schließlich bin ich auf junge Leute wie dich angewiesen. Und man darf sich gar nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn alle Jungen sich plötzlich aus dem Staub machen würden ...“
„Dagegen gibt es ja Gesetze!“
„Richtig. Und ich habe lange Zeit gedacht, dass es die verfluchte Pflicht der Jungen ist, für uns zu sorgen und uns nicht alleine zu lassen. Schließlich werden auch die Jungen mal alt. Aber die Wahrheit ist, dass für euch niemand mehr da
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