Herrscher der Eisenzeit - die Kelten - auf den Spuren einer geheimnisvollen Kultur
Singsang einsetzt. Der ganze Raum des Tempels summt, und so bemerkt Vercingetorix die Schritte nicht, die sich ihm von hinten nähern. Er spürt, wie ihn der Gesang einhüllt; trotz des Schmerzes in seinen Knien steigt eine leichte Mattigkeit in ihm auf. Seine Augenlider beginnen zu zittern.
Dann geht alles sehr schnell. Die beiden Priester neben ihm brechen abrupt ihr Gebet ab und packen seine Arme. Vercingetorix ist augenblicklich hellwach und bäumt sich auf, doch die Hände halten ihn wie eiserne Klammern. Plötzlich spürt er, wie ihm von hinten eine gedrehte Kordel um den Hals gelegt und zugezogen wird.
Das ist also das Ende. Feige von hinten erdrosselt, als Teil eines Rituals für die römischen Götter. Schon im Todeskampf verzieht Vercingetorix verächtlich den Mund. Er merkt, wie ihm die Sinne schwinden. Jede Faser seines Körpers giert nach Luft. Seine Füße zucken, doch das ist kein bewusster Widerstand mehr.
Dann tritt sein Geist ins Leere.
Am Rande des Imperiums
Die britannischen
Kelten
Über die Grenzen hinaus
Unbekanntes Land jenseits des Wassers
Das ist alles nicht wahr. Aulus Plautius schüttelt den Kopf und versenkt den Blick tief in seinen Weinbecher. Als er ihn wieder hebt, hat sich das Bild noch nicht verändert.
Seine Legionen gehen an Bord. Schwer mit Vorräten und Waffen beladen, besteigen sie die Schiffe nach Britannien. Sollte dieser Anblick den Oberfeldherrn der römischen Streitkräfte nicht glücklich und zufrieden stimmen? Wahrscheinlich ja, wenn nicht die Umstände dergestalt wären, dass er es jetzt eigentlich als eine Beleidigung betrachten muss, dass sich seine Männer derart folgsam einschiffen.
Er seufzt gequält, als ungewollt die Bilder von vor zwei Monaten vor seinem inneren Auge erscheinen, Bilder von seinen Legionen, die sich weigern – ja, sich weigern! – an Bord zu gehen. Er hatte es nicht glauben wollen: Die Soldaten hatten vor Britannien mehr Angst als vor ihm!
Einen kurzen Augenblick lang hatte er damals erwogen, ihnen mit Dezimierung zu drohen, dann die Idee jedoch gleich wieder verworfen. Stattdessen hatte er schweren Herzens einen Kurier nach Rom geschickt, in der Hoffnung, trotz dieses Eingeständnisses der Machtlosigkeit käme wenigstens ein Lösungsvorschlag zurück. Der kam auch! Aber wie! Verbittert speit Aulus Plautius aus und nimmt einen weiteren tiefen Schluck Wein.
Wie hatte Rom ihn nur so demütigen können? Schickt einen freigelassenen Sklaven, der sich vor die Legionen stellt und den Befehl aus Rom verkündet, dass die Legionen ihrem Feldherrn folgen sollen!
Hat den Männern die Komik dieser Situation die Angst genommen? Hatten sie geglaubt, es sei saturnalia , der Tag, an dem in Rom die Sklaven mit ihren Herren zur Belustigung Letzterer die Rollen tauschen? Oder ist ihnen die Tatsache, dass ein ehemaliger Sklave sie an ihre Pflichten erinnern musste, so peinlich, dass die Scham doch größer ist als die Angst?
Wie dem auch sei, in wenigen Stunden werden die Truppentransportschiffe ablegen und Kurs auf Britannien nehmen. Fast zwei Monate hat er verloren! Doch ein wenig kann Aulus Plautius, der alte Feldherr, der das unbekannte Land jenseits der Wasserstraße für Rom in Besitz nehmen soll, die Ängste seiner Legionen verstehen. Trotz seiner in vielen Jahren erworbenen militärischen Erfahrung bereiten ihm die Gedanken, die ihm unwillkürlich durch den Kopf gehen, kein wirklich wohlig warmes Gefühl im Bauch. Ab morgen Abend soll er ohne direkte Nachschubmöglichkeit und abgeschnitten von jeglicher Verstärkung ein fremdes, von wilden Stämmen besiedeltes Territorium erobern. Sein Blick schweift über die Oberfläche des Wassers, das die Grenze zwischen der bekannten und der unbekannten Welt darstellt. Natürlich kennt Aulus Plautius die Schriften des Gaius Iulius Caesar, der als erster römischer Feldherr seinen Fuß auf den Boden jenseits des Wassers gesetzt hat. Und es ist ja nicht so, dass Britannien nach Caesar in Vergessenheit geraten ist. Man treibt Handel und es gibt sogar vereinzelte diplomatische Kontakte, was für eine halbwegs zivilisierte Gesellschaft auf der anderen Seite des Wassers spricht. Doch wie viel wusste Caesar, der ja auch nur wenige Tagesmärsche ins Landesinnere vorgedrungen war? Und so sehr sie den Caesar damals auch gefeiert haben, so wenig sind seine Berichte geeignet, selbst gestandene Feldherrn für dieses Vorhaben zu erwärmen. Was erwartet er, der Gebildete, also von seinen Legionären?
Nein, Aulus Plautius
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