Herrscher des Lichts - Sanderson, B: Herrscher des Lichts - The Hero of Ages, Mistborn 3
wollte nicht mit diesen betrogenen, ängstlichen Menschen reden. Nicht jetzt.
Niemand verstand die Kolosse weniger als Vin. Sie hatte herausgefunden, wie man sie kontrollieren konnte, indem man den verborgenen allomantischen Auslöser benutzte. Doch während der tausendjährigen Regierungszeit des Obersten Herrschers hatten sich die Kolosse von der Menschheit ferngehalten und gaben außer ihrer brutalen Tapferkeit in der Schlacht und ihrer einfachen bestialischen Natur nur sehr wenig von sich preis.
Selbst jetzt spürte Vin, wie der Koloss an ihren geistigen Fesseln zerrte und sich zu befreien versuchte. Es gefiel ihm nicht, beherrscht zu werden – er wollte sie angreifen. Zum Glück war ihm das nicht möglich. Vin kontrollierte ihn, und dabei war es gleichgültig, ob sie wachte oder schlief, oder ob sie Metall verbrannte oder nicht, es sei denn, jemand stahl ihr die Bestie.
Obwohl sie nun eng miteinander verbunden waren, gab es so vieles, was Vin an diesen Kreaturen nicht verstand. Sie schaute
auf und bemerkte, dass der Koloss sie mit seinen blutroten Augen anstarrte. Seine Haut hatte sich eng über das Gesicht gespannt und die Nase vollkommen plattgedrückt. Die Haut war in der Nähe des rechten Auges gesprungen, und ein weiterer Riss ging vom Mundwinkel ab, so dass ein blauer Hautlappen locker herunter hing und die roten Muskeln und blutigen Zähne darunter entblößte.
»Sieh mich nicht an«, sagte die Kreatur mit schleppender Stimme. Ihre Worte waren undeutlich, was zum Teil an der Art lag, wie ihre Lippen zurückgezogen waren.
»Wie bitte?«, fragte Vin.
»Du glaubst nicht, dass ich menschlich bin«, sagte der Koloss langsam und wohlüberlegt – er sprach wie die anderen, die sie gehört hatte. Es war, als müssten sie nach jedem einzelnen Wort angestrengt nachdenken.
»Du bist nicht menschlich«, sagte Vin. »Du bist etwas anderes. «
»Ich werde menschlich sein«, erwiderte der Koloss. »Wir werden euch töten. Werden eure Städte erobern. Dann sind wir menschlich.«
Vin erbebte. Das war ein beliebtes Thema unter den Kolossen. Sie hatte bereits gehört, wie auch andere solche Bemerkungen gemacht hatten. Es war etwas Erschreckendes an der offenen, gefühllosen Art, wie der Koloss über das Abschlachten von Menschen sprach.
Sie wurden vom Obersten Herrscher erschaffen, dachte Vin. Natürlich sind sie verdreht. So verdreht, wie er selbst war.
»Wie lautet dein Name?«, fragte sie den Koloss.
Er trottete weiter neben ihr her. Schließlich sah er sie an. »Mensch.«
»Ich weiß, dass du ein Mensch sein willst«, sagte Vin. »Aber wie heißt du?«
»Das ist mein Name. Mensch. Nenn mich Mensch.«
Vin runzelte die Stirn, während sie weitergingen. Das war beinahe … klug. Nie zuvor hatte sie versucht, mit einem Koloss zu reden. Sie hatte immer angenommen, dass sie alle eine gleichartige Denkweise hatten – dass sie alle einfach nur ein und dasselbe dumme Tier waren.
»In Ordnung, Mensch«, sagte sie neugierig. »Wie lange lebst du schon?«
Er ging eine Weile schweigend neben ihr her, so dass Vin schon dachte, er hätte die Frage vergessen. Doch schließlich sagte er: »Siehst du meine Größe nicht?«
»Deine Größe?«
Die Bestie namens Mensch ging einfach weiter.
»Ihr wachst also alle mit derselben Geschwindigkeit?«
Darauf gab er keine Antwort. Vin schüttelte den Kopf und nahm an, dass diese Frage zu abstrakt für das Untier war.
»Ich bin größer als viele andere«, sagte Mensch. »Und kleiner als andere, aber nicht viele. Das heißt, ich bin alt.«
Ein weiteres Anzeichen von Vernunftbegabung, dachte sie und hob eine Braue. Im Vergleich zu dem, was sie bei anderen Kolossen bemerkt hatte, war Menschs Logik beeindruckend.
»Ich hasse dich«, sagte Mensch, als sie wieder einige Zeit nebeneinander hergegangen waren. »Ich will dich töten. Aber ich kann dich nicht töten.«
»Nein«, sagte Vin. »Ich werde dir keine Gelegenheit dazu geben. «
»Innen bist du groß. Sehr groß.«
»Ja«, bestätigte Vin. »Mensch, wo sind die Koloss-Mädchen?«
Das Geschöpf ging zunächst schweigend weiter und fragte dann: »Mädchen?«
»Wie ich«, meinte Vin.
»Wir sind nicht wie ihr«, antwortete er. »Wir sind nur außen groß.«
»Nein«, entgegnete Vin. »Ich meine nicht meine Größe, sondern
mein …« Wie sollte sie den Unterschied der Geschlechter beschreiben? Ihr fiel nichts ein, und sie wollte sich nicht ausziehen. Schließlich versuchte sie es mit einer anderen Taktik. »Gibt es
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