Herrscher
Personalflur.
Hier waren alle Laternen gelöscht. Selbst er war in dieser absoluten Dunkelheit blind, deswegen hatte er schon am Anfang des Ganges die Stiefel ausgezogen und ertastete sich den Weg mit Händen und Füßen. Von Dar wusste er, dass kein Washavoki ohne Laterne durch diesen engen Gang und die Treppe hinabgehen würde. Jedes Licht würde ihm hier sofort verraten, dass jemand auf ihn zukam. Doch war es schwierig, den pechschwarzen Gang zu durchqueren, sodass er nur langsam vorankam. Die Washavoki-Königin stieß gedämpfte Laute aus und wand sich hin und her. Kovok-mah konnte ihre Furcht riechen. Sie tat ihr leid. Wenn sie Dargus Güte erst erkennt, wird sie keine Angst mehr haben. Er hoffte, dass es nicht mehr lange dauerte.
Als er die Palastküche erreichte und endlich wieder etwas sehen konnte, empfand er Erleichterung. Sein scharfes Gehör registrierte, dass in irgendeiner Ecke jemand schlief. Kovok-mah ging lautlos und schnell auf den Hof hinaus. Von dort aus eilte er mit seiner Last zu den Stallungen. Da Dar vergessen hatte, ihm einzutrichtern, dass er seine Spuren verwischen sollte, bemerkte er seine Fußabdrücke
auf dem verschneiten Hof gar nicht. Er ging in den Stall und zur Ork-Latrine. Der Steinboden war kalt, sodass er kein gutes Gewissen hatte, als er die Gefangene ablegte. Nun ja, es ging nicht anders. Schon eilte er auf seinen Posten zurück.
Die »Eisen«, die Wulfar gesammelt hatte, bevor er sich in der Beobachtungskammer meldete, bestanden aus Angehörigen einer geheimen Bruderschaft, die ausnahmslos zu den Männern der Königin gehörten. Kol hatte sie gegründet und auf den Namen »Eiserner Kreis« getauft. Nur diese Männer kannten seine wahren Ambitionen. Sie waren mehr als ein Dutzend und nicht weniger beinhart als ihr General, der auch den Mann getötet hatte, der mit Wulfar zusammen gekommen war. Als der Eiserne Kreis bei ihm eintraf, lagen zwei Leichen vor seinen Füßen.
»Die Pissaugen haben Girta entführt«, sagte Kol. Er warf den Leichen einen bedeutungsvollen Blick zu. »Jetzt wissen nur noch wir davon.«
»Was ist mit den Kerlen am anderen Guckloch?«, fragte Wulfar.
»Die können nichts sehen«, erwiderte Kol. »Ein Pissauge verstellt ihnen die Aussicht.«
»Wie lauten deine Befehle, Herr? Sollen wir die Königin zurückholen?«
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Kol. »Ich glaube, Dar hat Wind von meinem Plan bekommen. Ansonsten würde diese Entführung keinen Sinn ergeben. Es ist ein tollkühner Schachzug, aber er zwingt mich zum Handeln.« Er wandte sich an einen seiner Männer. »Weck Lokung auf und begleite ihn zu Baltens Haus. Sag ihm, er soll sich Girtas Doppelgängerin schnappen und herbringen.«
Als der Mann ging, fragte einer seiner Kameraden: »Was ist mit den Pissaugen? Sie haben die Königin.«
»Ich bin mir sicher, dass sie versuchen werden, Girta in die Kaserne zu verschleppen. Bevor sie dort ankommt, müssen unsere Männer dort raus sein.« Er wandte sich an Wulfar. »Geh mit drei Mann zur Kaserne. Sage ihnen, ich hätte den sofortigen Rückzug befohlen. Wenn sie fort sind, tötet alle Küchenweiber. Aber seid leise. Dann zerlegt ihre Leichen so, damit es so aussieht, als hätten die Orks es getan.«
Kol erkannte sofort, dass die Männer nicht verstanden, was er mit diesen Anweisungen erreichen wollte, deswegen erläuterte er sie. »Wenn die Königin nicht mehr in Taiben ist, dient das meinen Zielen – aber nur dann, wenn niemand weiß, dass sie weg ist.« Mehr sagte er nicht, denn seiner Ansicht nach war es besser, den Rest seiner Kriegslist geheim zu halten, bis die Zeit reif war, sie auszuführen.
Nachdem die Männer zu ihren Missionen aufgebrochen waren, schaute Kol noch einmal durch das Guckloch.
Nun wurde die Tür zu den Gemächern der Königin wieder von zwei Orks bewacht.
Sie haben Girta irgendwo versteckt, dachte er. Er war sicher, dass Dar der Königin nichts antun würde, denn sie wollte gewiss nur mit ihr reden. Er fragte sich, wie viel Dar wusste, und ob es ihr wohl gelang, Girta von der Wahrheit zu überzeugen.
Und wenn schon. Es hilft ihr auch nicht weiter. Kol lächelte. Er freute sich, dass die Zeit der Intrigen endlich vorbei war. Endlich kann ich handeln!
Jetzt brauchte er nur noch die Morgendämmerung abzuwarten.
38
IN DIESER NACHT war Dar zu nervös, um zu schlafen. Kurz nachdem Kovok-mah und Zna-yat aufgebrochen waren, erkannte sie die Schwächen ihres Plans. Doch nun war es für neue Überlegungen zu
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