Herrscher
beschrieb den Personalkorridor, durch den sie früher gegangen war. Zna-yat und
Kovok-mah meldeten sich freiwillig, die Königin »mitzunehmen«. Obwohl Dar zögerte, sie mit dieser Aufgabe zu betrauen, waren sie doch die logischste Wahl: Beide kannten den Personalkorridor. Zudem hatte Zna-yat Erfahrung als Leibgardist, und Kovok-mah konnte sich mit der Königin verständigen. Nachdem dies beschlossen war, wurden Binden und ein Knebel hergestellt. In zwei zusammengenähte Umhänge wollte man die Königin verpacken. Auch wurden Gurte geknüpft, mit denen Kovok-mah sie sich auf den Rücken schnallen konnte.
In seinen Grundlagen und Einzelheiten war der Plan Dars Idee. Die an Gehorsam gewöhnten Söhne stellten ihn nicht infrage. Niemand äußerte, das Projekt sei überstürzt entwickelt oder allzu kompliziert. Obwohl er nur auf mageren Informationen basierte, stellte niemand Dars Mutmaßungen infrage.
Wenn sie die Washavoki-Königin haben wollte, würden Kovok-mah und Zna-yat sie herbeischaffen. Oder bei dem Versuch sterben.
37
BEI SONNENUNTERGANG wurden Taibens Stadttore geschlossen, deswegen trafen Kovok-mah und Zna-yat eine gute Weile früher ein. Ein Unwetter war im Anmarsch; heftiger Schneefall zwang die Männer der Königin am Tor sich um ein kleines Feuer zu scharen, sodass sie den Orks kaum Beachtung schenkten. Auch die Wächter am Palasttor ließen sie ohne Frage eintreten.
Da es im Winter früh dunkel wurde, mussten die beiden Orks auch während der Essenszeit Wache stehen. Das Bankett war jedoch diesmal nicht amtlicher Natur, deswegen waren weniger Menschen anwesend als an dem Abend, den Dar hier verbracht hatte. Trotzdem empfanden Kovok-mah und Zna-yat, die hinter Königin Girta standen, die Gesellschaft übel riechend und laut. Sie selbst rührten sich während der Mahlzeit nicht von der Stelle, und die Tafelnden behandelten sie wie zwei groteske Statuen.
Als das Bankett beendet war, zog die Königin sich in ihre privaten Gemächer zurück. Kovok-mah und Zna-yat folgten ihr und bezogen vor ihrem Gemach im vierten Stockwerk Position. Die Gemächer lagen in der Mitte eines langen
Ganges, der mit Holz getäfelt und über seine gesamte Länge verziert war. Die Orks begutachteten die aus Blättern, Vögeln und Obst bestehenden Intarsien und suchten unauffällig nach dem Guckloch, das zu finden in dem matt beleuchteten Gang selbst ihren scharfen Augen schwerfiel. Als Zna-yat es entdeckte, verließ er seinen Posten an der Tür der Königin und baute sich eine Weile vor dem Loch auf.
»Was machst du?«, fragte Kovok-mah, der davon ausging, dass kein Washavoki-Beobachter ihn verstand. »Dazu ist es noch zu früh.«
»Sie sollen sich daran gewöhnen, dass ich hin und wieder hier stehe«, erwiderte Zna-yat. »Dann kommt es ihnen nicht ungewöhnlich vor, wenn ich ihre Aussicht zum richtigen Zeitpunkt blockiere.«
Kovok-mah versuchte einen Sinn in Zna-yats Antwort zu erkennen, doch da er im Gegensatz zu seinem Vetter nicht verstand, was Irreführung war, konnte er hinter den Worten keine Logik erkennen. Trotzdem akzeptierte er die Erklärung. Zna-yat denkt wie Dargu, dachte er. Er versteht ihre Pläne besser als ich.
Je mehr Menschen sich zurückzogen, umso ruhiger wurde es im Palast. Auch das Personal der Königin begab sich in sein Quartier. Das Hin und Her zwischen Girtas Zimmerflucht und dem Personalkorridor nahm ab und hörte schließlich ganz auf. Drei Öllampen, die den Gang beleuchteten, erloschen und wurden nicht wieder angezündet. Das scharfe Gehör der Orks vernahm dann und wann leise Geräusche, die von den Spionen hinter der Wandtäfelung stammten. Ansonsten war es, abgesehen von dem Knacken und Knarren des alten Gebäudes, totenstill im Palast. Zna-yat trat hin und wieder vor, um das Guckloch zu verdecken. Als die Nacht
vorangeschritten war, tat er es wieder und gab das Zeichen, dass die Zeit zum Handeln gekommen war.
Kovok-mah betrat leise die Zimmerflucht der Königin. Er musste schnell handeln, doch er war noch nie hier gewesen und hatte keine Ahnung, wo die Königin schlief. Der Vorraum ihrer Suite wies fünf Türen auf. Er öffnete jede einzelne und warf einen Blick in die Räume dahinter. Keiner führte in eine Schlafkammer, doch in allen Räumen gab es weitere Türen.
Ich muss weitersuchen, dachte er.
»Es tut’s schon wieder«, sagte einer der Männer der Königin.
»Wer tut was?«, fragte sein Gefährte.
»Es steht schon wieder vor dem Guckloch da.«
»Na und? Was ist daran
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