Herrscher
schwerer.
19
DIE MITTAGSSONNE wanderte über einen klaren, blauen Himmel; die Luft war frisch. Donners Atem bildete Wölkchen, als er auf die Hofstallungen zutrabte, die getrennt von den Ställen der Höflinge und der Königlichen Garde lagen.
Am Tor hielten sich sechs berittene Gardisten bereit. Als es geöffnet wurde, kam Königin Girta auf einem Apfelschimmel zum Vorschein. Erfreut sah Tolum Kol, dass sie außer der Eskorte keine weitere Begleitung mitnahm. Er gab Donner die Sporen und ritt auf sie zu.
Die Königin traf sich, gefolgt von der Eskorte, mit Kol in der Mitte des Zwingers. Kol zügelte sein Reittier und verbeugte sich im Sattel. »Ein kühler Tag, Majestät, aber schön genug zum Ausreiten.«
»Ich bin der gleichen Meinung«, sagte Königin Girta. Sie lenkte ihr Pferd zum Palasttor. »In der windwärts gelegenen Ebene gibt es wenig Schnee. Reiten wir dorthin.«
An Girtas Seite ritt Tolum Kol nun durch Taibens mit Kopfsteinpflaster befestigte Straßen.
Sobald sie das Stadttor durchquert hatten, trieb die Königin
ihr Reittier zum Galopp an. Kols Donner hielt leicht mit, und sie stoben über trockenes, braunes Gras dahin, auf dem nur eine dünne Schneeschicht lag. Als die Königin ihren Zelter verlangsamte, tat Kol desgleichen mit seinem Hengst.
»Du reitest vortrefflich, Tolum«, sagte die Herrscherin. »Ich würde dich für einen Kavalleristen halten, wenn mein Sohn mir nicht erzählt hätte, dass du in einem Ork-Regiment gedient hast.«
»Er hat meine Geschichten weitererzählt?«
»Jede. Sie haben ihn sehr erheitert.«
»Ich bin erfreut, dass es mir gelungen ist, ihm Vergnügen zu bereiten.«
Königin Girta lachte. »Die Geschichte über den Ork und das Schwein war ganz besonders belustigend.«
»Wenn der Prinz über die Orks lacht, wird er sie weniger fürchten. Das wird ihm von Nutzen sein. Orks können Furcht wittern.«
»Wie das auch von Hunden behauptet wird, aber ich kann’s nicht recht glauben.«
»Was die Orks betrifft, ist’s keine Fabel. Sie können auch andere Gefühle riechen: Zorn, Schmerz, Liebe. Jede Schwäche spricht ihre Sinne an.«
Die Monarchin lachte. »Ist Liebe eine Schwäche?«
»Ich habe erlebt, wie sie Menschen zugrunde richtete. Und ebenso Orks.«
»Liebe kann Orks zugrunde richten?«
»Vielleicht sollte man es eher Lust nennen.«
Königin Girta wirkte angeregt. »Ich hoffe, solche Geschichten hast du meinem Sohn nicht erzählt.«
»Für die Ohren eines Knaben eignen sie sich nicht.«
Die Königin lächelte. »Und für meine Ohren?«
»Teils kennt Ihr sie schon. Was glaubt Ihr wohl, wie eine Frau zur Königin der Orks aufsteigen kann?«
»Meinst du Dar?«
»O ja.«
»Sie ist tot, also sprich nichts Nachteiliges über sie.«
»Sie ist nicht tot. Dafür ist sie viel zu listig.«
»Ich versichere dir, sie ist tot«, widersprach Königin Girta. »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, lag sie schon im Sterben.«
»Diese Darstellung ist auch mir zu Ohren gekommen. Eine vergiftete Wunde soll sie gehabt haben. Aber wo ist jetzt diese giftige Klinge?«
»Ein Ork hat sie an sich genommen.«
Kol lächelte. »Das trifft sich gut. Sei nicht überrascht, wenn du wieder von Dar hörst.«
»Du bist also der Ansicht, sie war eine Betrügerin?«
»Ich kenne sie aus dem Regiment. Sie war immer falsch. Wie sonst hätte es ihr gelingen können, Orks im Königspalast unterzubringen? Und sie sind noch immer da.«
»Sie dienen meinem Schutz. Orks verehren Frauen.«
Kol schnitt eine Miene der Entgeisterung. »Wer hat dir das eingeredet?«
»Ich weiß es von Dar.«
»Warum haben sie unsere Frauen dann als Sklavinnen gehalten? «
»Das Heer hat es so eingerichtet, nicht die Orks.«
»Nur weil die Orks es gefordert haben und andernfalls nicht gekämpft hätten.«
»Ich habe einen besseren Einblick in diese Verhältnisse«, sagte Königin Girta.
»Es liegt mir fern, mir anzumaßen, Eure Meinung zu beeinflussen. Ich bin ein schlichter Tolum. Ihr habt hochedle
Berater, die Euch zur Seite stehen. Wenn Dar tot ist, gestehe ich, dass meine Sorgen unbegründet sind. Ich verspreche, mich nicht mehr darüber zu äußern.«
»Umso besser, denn allmählich spüre ich die Kälte.« Königin Girta wendete ihr Pferd in Richtung Taiben. Kol und die Eskorte schlossen sich ihr an.
Sobald die Königin im Zwinger des Königspalasts abgesessen war, wandte sie sich erneut an Kol. »Gesell dich zu mir und trink warmen Würzwein mit mir. Um dein Ross kann sich ein Gardist
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