Herrscher
teilnehmen, die in Panik vor ihr geflohen war. Am nächsten Abend musste Dar ihre eigene Familie bewirten, was nur peinlich ausfallen konnte. Inzwischen war allgemein bekannt, dass der Rat nach Muth’las Trunk verlangte. Dar erwartete einen traurigen Abend.
Auch wenn Muthuri vielleicht nicht mal verärgert ist, dachte sie, wird sie so tun, als wäre sie es. Zor-yat und ihre Schwestern waren die einzigen Orks, von denen sie wusste, dass sie eines Doppelspiels fähig waren. Dar war nicht erpicht darauf, ihrer Muthuri zu begegnen. Ihr letztes Festmahl galt Muth-yats Hanmuthi; es versprach schon jetzt, das strapazierendste zu werden.
Dar verbrachte die Tage damit, auf dem Familiensitz der Yat umherzustrolchen, als wolle sie sich von ihm verabschieden. Eins fiel ihr auf: Wenn ihre Gedanken ungezwungen umherstreiften, erweckte alles, was sie sah, irgendeine Erinnerung einer früheren Königin. Deswegen sah sie das Gebäude durch viele verschiedene Augen, die es aus der Sicht früherer Epochen betrachtet hatten. Sie schaute sich Muth’las Kuppel an und sah eine primitive Hütte auf einem fast unbebauten Berggipfel. Sie lugte durch zugemauerte Eingänge in verschwundene Räumlichkeiten. Sie wagte sich auf schneebedeckte Terrassen und sah Brakblüten, die sich in der Frühlingsbrise wiegten.
Gelegentlich begegnete Dar jemandem, der sie ansprach und wieder in die Gegenwart zurückholte. Ihre bisherigen Festmahle hatten ihren Zweck gut erfüllt: Jeder kannte sie nun. Außerdem war offensichtlich, dass alle wussten, was ihr bevorstand. Einige waren überzeugt, dass sie die Prüfung
bestehen würde. Die meisten waren ängstlich. Andere waren zutiefst besorgt. Niemand sprach aus, was er dachte, denn es wäre unhöflich gewesen. Trotzdem hatte Dar kaum Schwierigkeiten, Empfindungen wahrzunehmen. Obwohl sie es als ermutigend einstufte, Sympathie und Besorgnis zu spüren, verstärkten diese Wahrnehmungen aber auch das Gefühl ihres bevorstehenden Untergangs. Dies führte dazu, dass sie sich in abgelegene Winkel der Feste verkroch. Die meisten befanden sich in den ältesten Gebäudeteilen, wo viele Räume und Gänge als Lager dienten.
Die letzten drei Festmahle erwiesen sich als genau die Gottesurteile, die Dar erwartet hatte: Meera-yat weigerte sich zu kommen, deswegen tauchte nur ihre Tochter auf. Die Unhöflichkeit ihrer Muthuri war ihr peinlich. Dars Mahl für die eigene Familie war so fröhlich wie ein Begräbnis. Das Mahl für Muth-yat war das schlimmste überhaupt.
Muth-yat hatte einst drei Töchter gehabt. Bei einem Besuch der verstorbenen Königin in Taiben hatten auch sie sich deren geheimnisvolle »Krankheit« zugezogen. Othar hatte so getan, als behandele er sie, doch in Wahrheit hatte er ihnen kein Gegenmittel verabreicht. Muth-yats Töchter waren allesamt gestorben. Ihr Hanmuthi bestand nur noch aus ihr, ihrem Gatten und einem Enkel-Jungling, dem einzigen Kind ihrer Ältesten. Als sie ins königliche Hanmuthi kamen, segnete Dar sie alle.
Nachdem sie Platz genommen hatten, trug ein Sohn die speziell für diese Besucher bestellte Abendmahlzeit auf. Sie bestand aus nur einem Gang, dem traditionellen Muthufa-Eintopf. Nachdem Dar alle bedient hatte, schaute sie Muth-yat in die Augen und sagte: »Genau dieses Gericht hat Velasa-pah für mich und meine Gefährten zubereitet, als wir aus dem Westen kamen.«
Muth-yat erwiderte ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Gar-yat bereitet es gut zu.«
»Hai«, sagte Dar. »Doch Velasa-pahs Eintopf schmeckte anders. Ich glaube, es lag daran, dass sein Rezept älter war.«
»Sehr wahrscheinlich«, sagte Muth-yat.
»Als ich ihn hier bei uns sah, hätte ich ihn um sein Rezept bitten sollen.«
Muth-yat gab ihre vorgetäuschte Gleichgültigkeit auf. »Du hast ihn auf unserem Sitz gesehen?«
»Hai«, erwiderte Dar. »Diesmal war es eine Vision. Hast du die Deetpahis in der verschlossenen Kiste der Wissenshüterin nicht gelesen? Velasa-pah wurde zu sterben erlaubt, nachdem er mich begrüßt hatte.«
»Das ist geheimes Wissen«, sagte Muth-yat. »Und es sind Söhne anwesend.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Dar. »Doch wenn die Zeit knapp wird, darf man sie nicht vergeuden.«
Nur Dar, Muth-yat und Nir-yat verstanden, worum sich dieses Gespräch eigentlich drehte, doch die anderen spürten seine Wichtigkeit aufgrund der Spannung, die fühlbar in der Luft lag.
»Visionen warnen vor Schwierigkeiten«, sagte Muth-yat. » Und vor denen, die sie machen.«
»Muth’la
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