Herrscher
sie erwartet, dass wir sie zu ihren Gunsten ändern.«
»Dann geh mit mir.«
»Ich kann nicht.«
»Wieso nicht? So lammfromm bist du doch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du auf den Tod wartest.«
»Ich bin hier zu Hause.«
»Die Orks denken da wohl anders.«
»Da irrst du dich.«
»Tja, aber wenn ihre Matriarchinnen dich nicht haben wollen, hast du auch keinen Grund mehr, hierzubleiben.«
»Das Fathma hält mich hier. Die Urkzimmuthi sind meine Kinder. Die Erinnerungen ihrer Königinnen sind die meinen geworden.«
»Ich verstehe den Sinn deiner Worte nicht.«
»Das habe ich auch nicht erwartet.«
»Dann willst du dich also irgendwelchen Erinnerungen opfern?«
»Meine Erinnerungen gehören auch dazu. Die nächste Königin wird sie erhalten.«
»Um Karms willen, Dar: Geh mit mir fort.«
»Um Muth’las willen, ich werde es nicht tun. Das Fathma war ihr Geschenk. Ich muss es weitergeben. Die letzte Königin ist gestorben, damit es auf mich übergeht. Soll ich nun weniger tun als sie?«
»Du hast recht. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nur eins: dass du dein Leben wegwirfst. Zna-yat hat gesagt, es würde nicht einfach sein, dich zu treffen, aber das hier ist schlimmer als alles, was ich mir ausgemalt habe.«
»Tut mir leid für dich, Sevren. Aber es ist Muth’las Wille.«
»Ich habe von Muth’la gehört. Ich habe bisher gedacht, sie sei voller Mitgefühl.«
»Wir wissen nicht immer, wohin ihre Pläne führen. Ich möchte nicht sterben, Sevren. Aber ich laufe auch nicht weg.«
Sevren schüttelte traurig den Kopf. »Ja, so entspricht es nun mal deinem Charakter.« Er seufzte. »Ich kann nicht bleiben.«
»Du bist doch gerade erst angekommen. Du musst etwas essen und dich ausruhen.«
»Ich würde mich über ein bisschen Proviant für den
Rückweg freuen. Ausruhen kann ich mich nicht. Nicht hier. Nicht in Taiben. Nirgendwo.«
»Kann ich dir, vom Proviant abgesehen, noch etwas geben? «
»Wenn du schon fragst, will ich ganz offen sein und dich um einen Kuss bitten. Ich habe bisher jeden in der Erinnerung bewahrt, weil sie so selten waren.«
Dar wollte sich eigentlich weigern, doch dann schenkte sie Sevren ein trauriges Lächeln und gab nach. Sie hielt sich an seinen Schultern fest und drückte ihre Lippen auf die seinen. Sie verharrten länger in dieser Position als beabsichtigt.
Als Dar sich von ihm löste, schaute Sevren sie mit glänzenden Augen an.
Er sagte kein Wort, was sie irgendwann unerträglich fand. »Ich muss gehen«, sagte sie und trat zurück. »Zna-yat wird dich mit Proviant versorgen.« Dann floh sie aus dem Saal.
26
KURZ NACHDEM ZNA-YAT ihn versorgt hatte, kehrte Sevren allein nach Taiben zurück. Er war zornig, traurig und fühlte sich völlig hilflos. So, wie er es sah, war Dar entschlossen, ihr Leben einer sinnlosen Sache zu opfern, und er konnte nichts tun, um sie davon abzuhalten. Er freute sich jedoch darüber, dass sich sein Fortkommen auf der verschneiten Straße äußerst schwierig gestaltete. In der Hoffnung, durch Erschöpfung ein bisschen Frieden zu finden, nahm er die Schneewehen in Angriff.
Während Sevren sich abmühte, beendete Dar die Niederschrift ihrer Geschichte auf dem Deetpahi. Yev-yat hatte versprochen, eine dauerhafte Kopie ihres Berichts anzufertigen, indem sie die Worte in ein Brett presste und einwachste. Dar freute sich, dass alles bewahrt wurde. Sie hatte nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Erkenntnisse und Visionen aufgezeichnet.
Ihrer Ansicht nach waren die Erkenntnisse schon deswegen wichtig, weil kein Ork die Washavoki tatsächlich verstand. Ihre Erlebnisse beim Militär bewiesen, wie leicht Orks auf menschliche Tücke hereinfielen. Sie hoffte, dass
ihr Deetpahi als Warnung dienen konnte, doch als sie sich das Schicksal ihrer Vorgängerin in Erinnerung rief, verzweifelte sie. Othar hat sie jahrelang in seinem Netz gefangen gehalten, und Kol ist bestimmt ebenso geschickt.
Als ihre Warnung aufgezeichnet war, schrieb Dar ihre Visionen nieder. Die meisten waren leicht interpretierbar, da sie sich schon bewahrheitet hatten. Die geheimnisvolle »Frau« an der Hecke war ein kurzer Blick auf die frühere Königin gewesen, die ihre Nachfolgerin suchte. Die ausgehenden Lichter im Tal der Kiefern waren die sterbenden Orks gewesen, die in einen Hinterhalt geraten waren. Das Loch in Dars Brustkorb: die vergiftete Wunde; ihre innere Kostbarkeit: das Fathma. Nur eine Vision blieb geheimnisvoll und hatte sich noch nicht erfüllt: Velasa-pahs
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