Herrscher
wie bitterer Honig. Es geht schnell. Mir wird übel, ich muss nach Luft schnappen. Wenn ich anfange zu zittern, wird jemand vortreten, um das Fathma entgegenzunehmen. Dar war sicher, dass es Muth-yat sein würde. Als sie zuvor dem Tode nahe gewesen war, hatte sie den Wert eines jeden Geistes gesehen. Es wird diesmal nicht anders sein. Man wird mir keine Wahl lassen.
Jvar-yat betrat die Große Kammer und unterbrach Dars Gedanken. Sie verbeugte sich sehr tief. »Verzeih mir, Muth Mauk, aber Muth’las Trunk ist noch nicht fertig. Die Schuld liegt bei mir. Ich habe auf meinem Festmahl zu viel Falfhissi
getrunken und die Samenkerne zu spät eingelegt. Ich benötige mehr Zeit.«
»Wann wird der Trunk fertig sein?«, fragte Dar.
»Morgen früh.«
Dar blickte die Matriarchinnen an, deren Gesichter ihre unterschiedlichen Reaktionen zeigten. »Dann sehen wir uns also wieder.«
Jvar-yat verbeugte sich und ging, die Matriarchinnen taten es ihr gleich und ließen Dar allein in der Großen Kammer zurück. Durch die Fenster schaute sie auf das sie umgebende Gebirge. Der fallende Schnee ließ es erblassen, sodass es eher wie die Erinnerung an ein Gebirge wirkte. Morgen um diese Zeit werden von mir nur noch Erinnerungen übrig sein.
28
DAR BLIEB in der Großen Kammer zurück. Sie wartete darauf, dass ihre Aufgewühltheit sich legte. Jede Erleichterung über ihre Gnadenfrist wurde durch den zeitlich befristeten Charakter derselben zunichtegemacht, und sie wollte ruhig sein, wenn sie in ihr Hanmuthi zurückkehrte. Nir-yat und ihre Mintari würden schon auf sie warten und zweifellos wissen, was passiert war. Wahrscheinlich weiß es inzwischen die ganze Sippe.
Dar verdrängte alle trostlosen Gedanken, um zu überlegen, wie sie die ihr noch verbleibende Zeit am besten nutzen konnte. Sie kam zu dem Schluss, dass die nächste Königin vor Kol gewarnt werden musste. Wenn er seiner Masche treu blieb, würde er sich als Freund darstellen. Dar wollte nicht, dass ihre Nachfolgerin sich dazu überreden ließ, den Vertrag für null und nichtig zu erklären und neue Ork-Regimenter aufzustellen.
Trotz ihres Kummers sah sie keinen Grund, mit Muth-yat zu sprechen. Diese Aufgabe wollte sie lieber Nir-yat übertragen. Es bestand die Möglichkeit, dass Muth-yat auf Nir-yat hören würde, wenn Dar nicht mehr da war. Das Hauptproblem
würde darin bestehen, Nir-yat die Art der Bedrohung zu verdeutlichen. Dar befürchtete, dass ihre Schwester nicht so ohne Weiteres begreifen würde, von welcher Art die Täuschungsmanöver waren, derer Kol sich bediente. Sie dachte gerade darüber nach, wie sie es ihr beibringen sollte, als Zna-yat in den Raum stürzte. Er war so aufgeregt, dass er sich nicht einmal verbeugte.
»Muth Mauk! Es sind weitere Matriarchinnen eingetroffen! Muth-pah und Muth-goth!«
»Wie ist das möglich? Muth-goth reist doch gar nicht, und Muth-pah habe ich gar nicht gerufen.«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Zna-yat. »Ich habe nur gehört, dass beide hier sind und an den Strapazen ihrer Reise leiden. Muth-goth ist auf einer Trage angekommen. Sie sind jetzt in Muth-yats Hanmuthi.«
Dar lächelte. »Ich bezweifle, dass Muth-yat sich über diese Gäste freut.«
»Das sehe ich auch so«, erwiderte Zna-yat.
»Die Wissenshüterin soll sofort zu mir kommen.«
»Ich hole sie«, sagte Zna-yat.
Dar wartete ängstlich, denn sie wusste nicht genau, ob sich die Entscheidung der Steine dadurch rückgängig machen ließ. Als Yev-yat auftauchte, stellte Dar ihr diese Frage. Die Antwort der Wissenshüterin war jedoch nicht ermutigend. »Es ist noch nie vorgekommen.«
»Aber die heutigen Ereignisse sind sicher auch einmalig.«
»Darüber kann man streiten«, sagte Yev-yat. »Ich bin keine Sippen-Matriarchin. Sie werden in dieser Angelegenheit entscheiden, nicht du oder ich.«
»Dann muss ich ihre Entscheidung abwarten.«
»Ich hoffe, sie fällt zu deinen Gunsten aus, Muth Mauk.«
Dar unterhielt sich mit der Wissenshüterin ausführlich
über die Beziehungen zwischen den Königinnen und Matriarchinnen. Es überraschte sie nicht, dass sie sich oftmals stritten. Trotzdem setzte man die Steine selten zur Lösung von Disputen ein. Der Rat herrschte durch Einvernehmen, und wenn es nicht gelang, ein solches zu erreichen, wurden strittige Handlungen eben aufgeschoben. Leider konnte man die Frage, ob eine neue Königin etwas taugte, nicht auf die lange Bank schieben. Deswegen bediente man sich der Steine, und das so entstandene Ergebnis wurde
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