Herz aus Eis
nach einigen Jahren die Hoffnung aufgegeben, eigene Kinder zu bekommen. Also adoptierte er das neugeborene Baby eines Ehepaares, das nach Kalifornien reisen wollte, jedoch in einer Kutsche tödlich verunglückte, als die Gespannpferde durchgingen. Aber Jacob war erst drei Jahre alt, als Horaces Frau doch noch mit einem Kind niederkam, einem Mädchen, das sie Charity tauften, weil sie es wie ein Geschenk des Himmels betrachteten.
Nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, hat es wohl nie ein Kind gegeben, das mehr verwöhnt wurde als Miss Charity Fenton. Ihre Mutter bereiste mit ihr die ganze Welt, ihr Vater kaufte ihr alles, was sie sich seiner Meinung nach wünschte oder gern gehabt hätte.«
»Und wie wurde Jacob behandelt?« fragte Houston.
»Nicht übel. Der alte Horace verwöhnte zwar seine Tochter nach Strich und Faden, brachte aber seinem Adoptivsohn bei, wie er überleben konnte — vielleicht mit dem Hintergedanken, daß Jacob für Charity sorgen sollte, wenn ihr Vater nicht mehr lebte. Jacob wurde dazu ausgebildet, das Imperium zu leiten, das Horace sich aufgebaut hatte.
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie sie sich kennenlernten. Ich glaube, Frank Taggert wurde dazu erwählt, Horace Fenton die Beschwerden der Sägemühlenarbeiter vorzutragen — das war noch vor der Zeit der Kohlenbergwerke —, und dabei muß er mit Charity zusammengetroffen sein. Egal, wie es zu ihrer Bekanntschaft gekommen ist — es muß Liebe auf den Blick gewesen sein, und sie beschloß, daß sie Frank heiraten wollte. Ich glaube nicht, daß in ihrem kleinen verwöhnten Kopf der Gedanke aufkeimte, daß ihr Vater sich auch einmal ihren Wünschen widersetzen könnte.
Doch Horace weigerte sich nicht nur, seine Tochter mit einem Taggert zu verheiraten, er sperrte sie sogar in ihr Zimmer ein. Irgendwie gelang es ihr, aus dem Fenster zu klettern und zwei Tage bei Frank zu verbringen. Als die Männer ihres Vaters sie wiederfanden, lag sie bei ihm im Bett. Und sie sagte ihrem Vater, sie würde Frank Taggert bekommen, selbst wenn sie das ihr Leben kosten sollte.
»Wie schrecklich für sie«, flüsterte Houston.
Kane holte eine Zigarre aus seiner Nachttischschublade und zündete sie an. »Sie bekam ihn dann tatsächlich, weil sie zwei Monate später ihren Eltern erzählte, daß sie schwanger sei.«
»Mit dir«, sagte Houston leise.
»Mit mir. Horace warf seine Tochter aus dem Haus und sagte ihr, daß sie nicht mehr seine Tochter sei. Seine Frau legte sich ins Bett und blieb darin, bis sie vier Monate später starb.«
»Und deshalb haßt du die Fentons, weil du dem Gesetz nach den gleichen Erbanspruch auf den Besitz deines Großvaters hattest wie Jacob; doch die Fentons beschäftigten dich in ihrem Stall.«
»Gleiche Erbansprüche — einen Teufel!« explodierte Kane. »Du hast erst die halbe Geschichte gehört. Charity zog in die Slums, wo die Taggerts lebten — eine andere Wohnung konnten sie sich nicht leisten für den Lohn, den Fenton ihnen bezahlte — und fühlte sich da verdammt unwohl. Natürlich wollte niemand mit ihr reden, da sie ja eine von den Fentons war; aber nach allem, was ich gehört habe, hat sie sich mit ihrer hochmütigen Art das Leben dort nicht gerade leichter gemacht.
Zwei Monate, nachdem sie Frank Taggert geheiratet hatte — und ihre Heiratsurkunde liegt dort auf dem Tisch —, rollte ein schwerer Baumstamm von einem Stapel herunter und erschlug ihren Mann.«
»Und Charity mußte nach Hause zu ihrem Vater zurückkehren.«
»Er war ein unversöhnlicher Bastard. Charity versuchte, ohne ihn durchs Leben zu kommen, ist dabei aber fast verhungert. Ich habe mit einem Dienstmädchen gesprochen, das früher im Haus der Fentons gearbeitet hat, und sie erzählte mir, daß Charity ausgemergelt, schmutzig und hochschwanger vor der Tür ihres Vaters stand. Horace blickte sie nur von Kopf bis Fuß an und sagte, sie habe ihre Mutter umgebracht und könne nur als Dienstbote wieder in sein Haus zurückkehren. Dann ließ er sie in der Spülküche arbeiten.«
Houston stand auf, stellte sich neben ihren Mann und legte ihm die Hand auf den Arm. Sie spürte, wie aufgewühlt er war, als er mit tonloser Stimme sagte: »Nachdem meine Mutter vierzehn Stunden lang Fentons Töpfe geschrubbt hatte, ging sie nach oben, brachte mich zur Welt und hängte sich an einem Dachbalken auf.«
Houston konnte ihn nur mit offenem Mund anstarren. »Ist ihr niemand zu Hilfe gekommen?«
»Niemand. Fenton hatte sie auf dem Speicher
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