Herz aus Eis
konzentrierte sich auf die Straße und ließ die Zügel auf die Rücken der Pferde klatschen. Am Lagertor betete sie, daß die Katze — oder die Katzenfamilie, den Geräuschen nach zu schließen —, sich so lange still verhielt, daß sie an den Wachen vorbeikam. Sie bangte, daß die Wachen, von den Geräuschen neugierig gemacht, unter die Plane sehen und ihre Waren genauer untersuchen könnten.
Sie atmete erleichtert auf, als sie unbehindert passieren durfte und sich im Lager befand. Sie hatte heute morgen Jean angerufen, und nach Jeans atemloser Verkündigung, daß Edan sie soeben gefragt habe, ob sie ihn heiraten wolle, sagte sie ihr, daß Rafe Morgenschicht habe und zu Hause sei, wenn sie mit ihrem Fuhrwerk im Lager einträfe. Rafe wußte nicht, daß Houston, als Sadie verkleidet, das Bergwerk besuchte, doch er würde sie mit einer anderen Frau bekanntmachen, die ihr bei der Verteilung des Gemüses und der versteckten Waren helfen würde. Jean konnte nicht sagen, ob diese Frau etwas von Sadies wahrer Identität wisse.
Houston hielt gerade mit ihrem Fuhrwerk vor der Baracke der Taggerts, als Rafe aus der Tür trat.
»Morgen«, rief Sadie, während sie sich vom Kutschbock erhob und ihren dicken alten Körper schwerfällig von dem Wagen hinunterschob.
Rafe nickte ihr zu und blickte sie dabei so eindringlich an, daß Houston den Kopf gesenkt hielt und der verbeulte Hut einen Schatten bis über das Kinn hinunter warf. »Ich hörte, Sie wissen jemand, der mir beim Verteilen der Ware helfen kann. Jetzt, wo Jean ja eine Lady geworden ist, stehen die Chancen schlecht, daß ich sie noch mal zu Gesicht bekomme.« Dabei band Sadie die Stricke los, mit denen die Zeltbahn an dem Fuhrwerk befestigt war. »Ich muß ein paar Katzen unter der Plane haben. Machten unterwegs ziemlich viel Radau. Muß die Biester zuerst loswerden.«
Sie blickte zu Rafe hoch, während sie die Zeltplane zurückschlug, einen Kohlkopf hochnahm und ein bißchen prahlen wollte mit ihrer guten Ware. Doch als sie auf die Ladefläche zurücksah, knickten ihr die Knie ein, so daß sie sich an den Speichen eines Wagenrads festhalten mußte. Unter dem Kohlkopf kam Kane Taggerts Gesicht zum Vorschein, der grinsend ein Auge zusammenkniff.
Rafe faßte mit einer Hand nach Sadies Arm, während er ebenfalls auf die Ladefläche schaute.
Kane setzte sich auf, so daß die Kohlköpfe über die Seiten des Fuhrwerks auf den Boden kollerten. »Bist du taub, Houston? Hast du mein Kratzen und Rufen nicht gehört?
Ich dachte, ich werde ohnmächtig, weil ich keine Luft mehr bekam. Zum Henker mit dir, Frau! Ich habe dir doch verboten, heute in das Bergwerkslager zu fahren!«
Rafe sah von einem zum anderen, ehe er Houston unter das Kinn faßte und ihr Gesicht ins Licht hielt. Wenn man wußte, wonach man suchen mußte, fiel einem natürlich die Schminke sofort auf. Mit den Jahren hatte Houston gelernt, in der Rolle von Sadie das Gesicht immer im Schatten zu halten oder mit gesenktem Kopf zu reden, und sie hatte bald gemerkt, daß die Leute sie nicht kritisch betrachten, wenn der erste Eindruck sie überzeugt. Sie hatten eine alte Frau vom Wagen steigen sehen, und sie hatten keinen Grund, das Bild, das sich ihnen eingeprägt hatte, für eine Illusion zu halten.
»Ich will verdammt sein«, sagte Rafe leise. »Geht beide ins Haus, und dort reden wir weiter.«
Kane stand neben Houston, packte sie fest am Ellenbogen und schob sie über die Schwelle von Rafes Wohnung.
»Ich habe dir doch gesagt, daß du nicht hierherfahren sollst«, sagte er und blickte dann auf seinen Onkel. »Weißt du, was die Ladys von Chandler jeden Mittwoch treiben? Sie gehört zu den vieren, die sich als alte Frauen verkleiden und verbotene Waren in ihrem Gemüse in die Kohlenzechen schmuggeln.«
Houston befreite sich mit einem Ruck aus Kanes Griff. »Es ist nicht so schlimm, wie du es darstellst.«
Rafe blickte Houston einen Moment an. »Was sind das für Waren, die du heimlich ins Lager bringst?«
»Nichts Besonderes«, antwortete sie. »Arzneimittel, Bücher, Tee, Seife — alles, was sich eben so in Kohlköpfen und anderem Gemüse verstecken läßt. Aber nichts, worüber sich jemand aufregen könnte. Und was Mr. Fenton betrifft, weiß er inzwischen von unseren heimlichen Unternehmungen, und da er nichts unternimmt, um sie zu unterbinden, scheint er sie sogar zu unterstützen und dafür zu sorgen, daß uns die Wachen am Lagertor nicht anhalten. Schließlich tun wir ja keinem weh.«
»Niemandem
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