Herz aus Eis
es genauso wie dir. Als es mir im Grunde egal war, ob Houston mich heiratete oder nicht, und ich mir überlegte, daß sich eine andere ebensogut für meinen Zweck eignete, beteuerte sie mir immer wieder, daß sie mich liebt. Und nun, wo ich das Gefühl habe, daß ich ohne sie nicht so recht leben könnte, schaut sie mich an, als wäre ich ein Haufen Pferdemist.«
Die Männer schwiegen eine Weile in dem gemeinsamen Gefühl einer schweren Ungerechtigkeit.
»Möchtest du ein Glas Whisky?« fragte Rafe dann.
»Ich brauche ein Glas Whisky«, antwortete Kane.
Als Rafe aufstand, um den Whisky zu holen, sah sich Kane zum erstenmal bewußt im Raum um. Rafes Wohnung war nicht größer als sein Ankleidezimmer mit Bad, überlegte Kane. Und sie war auf eine Weise schmutzig, der man mit gewöhnlichen Reinigungsmitteln nicht beikommen konnte. Das kleine Fenster ließ kaum Licht in den Raum, und allem haftete der Geruch äußerster Armut an.
Auf dem Kaminsims standen eine Büchse Tee, zwei Gemüsekonserven und ein in ein Tuch eingeschlagenes Etwas, das aussah wie ein halber Brotlaib. Kane war sicher, daß das die gesamten Nahrungsmittelvorräte seines Onkels waren.
Plötzlich erinnerte sich Kane wieder an die beiden Zimmer über dem Stall, in denen er aufgewachsen war. Seine Bett- und Leibwäsche war immer von den Mädchen in der Villa Fenton gereinigt und gebügelt worden, und als er schon fast erwachsen war, hatte er die Mädchen bezirzt, daß sie ihm auch die Wohnung saubermachten. Und zu essen hatte er immer in Hülle und Fülle gehabt.
Was, hatte Houston vorhin gesagt, schmuggelte sie in ihrem Gemüse in das Lager? Arzneimittel, Seife, Tee? Was sich eben in so einem Kohlkopf verstecken ließ. Kane hatte nie in seinem Leben Nahrungssorgen gehabt. Und weder als Stallbursche noch in der anfänglich schlechten Zeit danach hatte er in so ärmlichen Verhältnissen leben müssen wie sein Onkel.
Als er in eine Ecke sah, wo das Dach der Wohnbaracke offensichtlich ein Loch hatte, fragte er sich, wie seine Mutter, die wie eine Prinzessin aufgewachsen war, in so einer Baracke überhaupt hatte leben können.
»Hast du meine Mutter gekannt?« fragte Kane leise, als Rafe für ihn einen Zinnbecher voll Whisky auf den Tisch stellte.
»Ich kannte sie«, antwortete Rafe und betrachtete seinen Verwandten, der ihm vertraut und zugleich so fremd erschien. Manchmal bewegte sich Kane auf eine Weise, daß Rafe glaubte, seinen Bruder Frank vor sich zu haben — und dann sah er die Leute wieder auf eine Weise an, die ihn an die hübsche kleine Charity erinnerte.
Rafe setzte sich auf seinen Stuhl. »Sie hat zwar nur ein paar Monate bei uns gewohnt, und das Leben hier war hart für sie; aber sie war ein lebhaftes, fröhliches Ding. Wir beneideten damals alle Frank, hielten ihn für den größten Glückspilz der Welt. Du hättest sie sehen sollen, wie sie den ganzen Tag schuftete, scheuerte und kochte. Und dann, kurz bevor Frank von seiner Schicht nach Hause kam, machte sie sich zurecht, als käme der Präsident zu Besuch.«
Kane starrte seinen Onkel einen Moment an.
»Ich habe gehört, sie wäre ein verzogener Fratz gewesen und hätte alle Frauen im Lager so hochmütig behandelt, daß keine etwas mit ihr zu tun haben wollte.«
Rafes Gesicht zeigte deutlich seinen Unmut. »Ich weiß nicht, wer dir das erzählt hat; doch er ist ein verdammter Lügner. Als Frank in der Mine umkam, wollte sie nicht mehr weiterleben. Sie sagte uns, sie würde nach Hause zurückkehren, um dort ihr Baby zu bekommen; denn sie wüßte, daß Frank nur das Beste für sein Kind wollte, und deswegen würde sie im Haus ihres Vaters mit dem Kind niederkommen. Dieser Hundesohn!« setzte Rafe leise hinzu. »Wir hörten danach nur noch, daß Charity und ihr Baby gestorben seien und ihr Vater sich aus Kummer über den Tod seiner Tochter selbst umgebracht habe. Sherwin und ich waren froh, daß Charity wenigstens noch ein paar glückliche Tage auf dieser Welt erlebt hatte. Wir glaubten, ihr Vater hätte sie mit Freuden wieder bei sich auf genommen. Niemand wußte etwas von deiner Existenz oder von Charlys Selbstmord. Davon erfuhren wir erst viele Jahre danach.«
Kane wollte Rafe fragen, warum er denn nichts unternommen habe, ihn zu finden, nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, führte dann aber den Becher an die Lippen und trank statt dessen einen Schluck. Hatte er nicht zu Houston gesagt, daß Geld einem Menschen Macht verleiht? Was hätte denn einer von diesen Taggerts gegen
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