Herz aus Eis
Spitze, Youghal genannt — eine kühne Musterkombination von wildwachsenden Blumen und stachligen Blättern. Dieses komplizierte Muster bildete einen herrlichen Kontrast zu der seidigen Glätte des Kleides im Prinzeß-Schnitt.
Tia reichte Houston das tränentropfenförmige Bukett aus Orangenblüten und weißen Rosenknospen, das so gebunden war, daß es knapp über den Boden hinstrich, wenn Houston es in der Hand trug und in der Halle Einzug hielt.
Opal betrachtete ihre Tochter, und Tränen schimmerten in ihren Augen. »Houston . . .« begann sie; aber dann versagte ihr die Stimme.
Houston küßte ihre Mutter auf die Wange. »Ich bekomme den besten aller Männer.«
»Ja, ich weiß.« Opal reichte Houston ein Anstecksträußchen aus pinkfarbenen Rosenknospen. »Diese Blumen sind von deiner Schwester. Sie meinte, sie sollte rote Rosen tragen und du pinkfarbene. Ich glaube, sie hat recht, wenn sie sagt, ihr solltet bei der Hochzeit nicht identisch gekleidet sein.«
»Unsere Schleier haben doch verschiedenartige Muster«, sagte Houston, während Sarah das Sträußchen über Houstons linkem Ohr am Schleier befestigte.
»Fertig?« fragte Tia. »Ich glaube, diese Musik ist für euch beide bestimmt.«
Blair wartete bereits am Kopfende der Treppe auf ihre Schwester. Sie umarmten sich feierlich.
»Ich liebe dich mehr, als du ahnst«, flüsterte Blair. Da war ein Schimmer von Tränen in ihren Augen, als sie sich wieder von ihrer Schwester löste. »Ich schätze, wir sollten dieses Spektakel jetzt hinter uns bringen.«
Der Handlauf aus Messing an den Treppengeländern war mit Farnwedel geschmückt, und in regelmäßigen Abständen hingen Gebinde aus Kalla-Lilien daran. Unter dem Bogen der freitragenden Treppe saß ein aus zwölf Musikern bestehendes Streichorchester, das nun den Hochzeitsmarsch spielte.
Mit hoch erhobenem Kopf kamen die Zwillingsschwestern in die Halle herunter — die eine über die Stufen der Westtreppe, die andere auf der Osttreppe. Unter ihnen standen die Gäste und blickten schweigend zu den beiden schönen Frauen hinauf. Ihre eng sitzenden Kleider waren identisch bis auf die beiden Spitzenschleier, die sich in Muster und Webart unterschieden. Auch an den verschiedenfarbigen Rosenknospen, die sie seitlich am Kopf trugen, konnte sich der Betrachter orientieren, wenn er die Zwillinge nicht anders auseinanderzuhalten vermochte.
Als die beiden Frauen den Boden der Halle erreichten, wich die Menge zurück, und die Zwillinge gingen geradeaus weiter durch einen kurzen Korridor bis zur Tür der Bibliothek.
Sobald sie vor dieser Tür angelangt waren, hielten sie inne und warteten, bis die sechs Harmonien, die man über den riesigen Raum verteilt hatte, zu spielen begannen. In der Bibliothek waren die Verwandten und die den Brautpaaren nahestehenden Freunde versammelt, die sich nun von ihren Plätzen erhoben.
Als Houston den Korridor entlangblickte, den die Gäste in der Mitte freigelassen hatten, sah sie dort Jean Taggert zwischen ihrem Vater und ihrem Onkel stehen. Und gleich dahinter, auf einer erhöhten Plattform, über der sich ein Dach aus Laub und Rosen wölbte, standen die beiden Bräutigame — auf der verkehrten Seite.
Houston hätte es wissen müssen: daß alle ihre Pläne sich erfüllten, ohne daß etwas schiefging, war zu gut, um wahr zu sein. In diesem Moment wandelte sie durch den Mittelgang auf die Stelle zu, wo Leander seine Braut in Empfang nehmen sollte. Rasch blickte sie zu Blair hinüber, um mit ihr einen amüsierten Blick auszutauschen; doch Blair blickte stur geradeaus — auf Kane.
In diesem Augenblick begann sich bei Houston der Magen umzudrehen. Das war kein Zufall, kein schlichtes Versehen. Mit einem bangen Gefühl in ihrer Brust dachte sie an die Blumen, die Blair ihr geschickt hatte. Konnte Blair es so arrangiert haben, daß sie nun Leander heiraten mußte? Wollte sie Kane zum Ehemann haben?
Das war lächerlich. Houston lächelte. Zweifellos wollte Blair ein nobles Opfer bringen und sich mit Kane trauen lassen, damit Houston ihren Lee bekam. Wie süß von ihr; aber total falsch.
Immer noch lächelnd blickte Houston zu Kane hinüber. Er starrte sie eindringlich an, und Houston war froh, daß er sie erkannt hatte.
Wenigstens einen Moment lang war sie glücklich; doch als sein Gesicht sich verfinsterte und er den Blick von ihr abwendete, verging ihr das Lächeln.
Er konnte doch nicht glauben, daß sie mit Absicht die Plätze vertauscht hatte, damit sie Leander heiraten
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