Herz aus Feuer
Bogen Papier zur Hand und stellte eine Liste auf, was dafür und dagegen sprach, die Stadt mit Alan zu verlassen. Es gab fünf gute, starke Gründe, warum sie mit ihm abreisen sollte. Sie reichten von so allgemeinen Erwägungen wie die Engstirnigkeit dieser Stadt bis zu dem sehr persönlichen Motiv, Houston von dem Gefühl befreien zu können, daß sie einen Millionär heiraten müsse.
Ihr wollte nur ein Grund einfallen, warum sie Chandler nicht mit Alan verlassen sollte: Sie würde Leander dann nie Wiedersehen. Sie würde nicht mit ihm in seiner neuen Klinik Zusammenarbeiten können, wenngleich es auch möglich sein konnte, daß Alan mit seiner Behauptung recht hatte und Leander sie nur mit den Plänen ködern wollte, damit er in diesem Wettbewerb Sieger blieb.
Sie stand auf. Wenn sie nicht hier in der Klinik arbeiten würde, wartete das St.-Joseph-Hospital in Pennsylvania auf sie.
Sie blickte auf ihre Uniform hinunter und wußte, daß sie außer diesem Kleidungsstück nichts mitnehmen würde. Sie konnte nicht mit einer Reisetasche das Haus verlassen, weil man sie sonst mit Fragen bestürmen würde. Sie konnte nur ihre Arzttasche mitnehmen und das, was sie auf dem Körper trug. Sie zerknüllte ihre Liste und behielt sie in der Hand. Sie mochte sie noch brauchen, damit sie sich wieder daran erinnerte, warum sie das alles tat.
Im Erdgeschoß war ihre Mutter damit beschäftigt, die Geschenke zu ordnen. Houston war fortgegangen. Blair versuchte, ein paar Worte für ihre Mutter zu finden — ihr Lebewohl zu sagen, ohne dieses oder ein ähnliches Wort zu verwenden. Aber ihre Mutter war zu sehr damit beschäftigt, silberne Schüsseln und Bestecke zu zählen.
Das Kinn in die Luft gereckt, ging Blair durch die Haustür und machte sich auf den langen Weg bis zum Bahnhof. Während sie durch die Straßen ging, betrachtete sie die betriebsame kleine Stadt mit anderen Augen. Vielleicht war sie gar nicht so kleinkariert, wie sie ursprünglich geglaubt hatte. Sie war nicht Philadelphia, hatte aber auch ihre Vorzüge. Drei Kutschen ratterten an ihr vorbei, und die Leute, die darin saßen, riefen: »Hallo, Blair-Houston!« Heute klang ihr der Doppelnamen gar nicht so übel in den Ohren.
Als sie sich dem Bahnhof näherte, überlegte sie, was wohl nach ihrer Abreise geschehen würde: ob Houston Leander heiraten, ihre Mutter ihr Verschwinden verstehen, Gates sie noch mehr hassen würde als bisher?
Sie kam um drei Uhr fünfundvierzig am Bahnhof an und sah mit einem Blick, daß Alan noch nicht eingetroffen war. Sie stand auf dem Bahnsteig, neben sich die Ärztetasche, spielte mit ihrer Motiv-Liste und dachte, daß das vielleicht die letzten Minuten in dieser Stadt waren, die nach ihrem Vater benannt war. Nach dem Skandal, den sie heraufbeschworen hatte, indem sie zuerst ihrer Schwester den Mann stahl und nun vier Tage vor ihrer Hochzeit mit einem anderen Mann davonrannte, würde sie wohl kaum in diese Stadt zurückkehren können vor ihrem neunzigsten Geburtstag.
»Ahem«, drang eine Stimme zu ihr, die sie kannte. Sie drehte sich abrupt um und sah Leander, der zwei Schritte hinter ihr auf einer Bank saß.
»Ich dachte, ich sollte doch zum Bahnhof kommen, um dir Lebewohl zu sagen«, meinte er, als Blair sich vor ihm aufbaute. Die Liste fiel ihr aus der Hand, und ehe sie sie wieder aufheben konnte, hatte Leander sie schon an sich genommen und las sie durch.
»Wie ich sehe, habe ich gegen Onkel Henry und einen Schuldkomplex wegen Houston verloren.«
Sie riß ihm die Liste aus der Hand. »Ich habe meiner Schwester etwas Unverzeihliches angetan. Und wenn ich den Schaden wieder gutmachen kann, werde ich das tun.«
»Sie sah mir gar nicht so unglücklich aus, als ich ihr neulich auf der Straße begegnet bin. Sie blickte Taggert an, als könnte er ihr den Mond vom Himmel herunterholen.«
»Houston ist in sein Geld verliebt.«
»Ich mag vielleicht nicht viel von Frauen verstehen«, schnaubte Lee, »aber daß sie nicht in sein Geld verliebt ist, weiß ich bestimmt. Ich glaube, was ihr an ihm gefällt, ist etwas — äh — persönlicher.«
»Wie kannst du so etwas Häßliches von ihr sagen!«
»Dann ist es vermutlich dein Glück, daß du so einen perfekten Mann wie Hunter heiratest und nicht so einen primitiven Kerl wie mich. Nur weil ich Dinge mit deinem Körper anstelle, daß du vor Wonne weinst, wir uns wohl fühlen in der Gesellschaft des anderen und du so gut mit mir zusammenarbeitest, ist das noch lange kein Grund, mich zu
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