Herz aus Feuer
hier war, warum hat Lee dann die Verlobung mit meiner Schwester aufrechterhalten?«
Reed schickte einen verzweifelten Blick an die Decke. Aber dann sprang ihm wieder die Zeitung in die Augen. »Sie — diese Frau, die er liebte — war ... in etwas verwickelt, was Lee gar nicht schätzte. Er mußte etwas unternehmen, das ihn von dieser Frau ablenkte.«
»Und diese Ablenkung war erst Houston und später dann ich.« Blair holte tief Luft. »Er liebte also diese Frau, dachte, sie sei umgekommen, kehrte nach Chandler zurück und bat Houston, ihn zu heiraten. Und dann tauchte ich auf, und ich dachte, ein Zwilling ist so gut wie der andere; aber sein Ehrgefühl sagte ihm später, daß er nun eher dazu verpflichtet sei, mich zu heiraten. Das erklärt, warum er eine Frau geheiratet hat, die er gar nicht wirklich liebt. Nicht wahr?«
Reed fuhr mit dem Finger an der Innenseite seines Kragens entlang, der ihn plötzlich zu würgen schien. »Ich schätze, diese Erklärung ist so gut wie jede andere«, sagte er laut, und dann für sich: »Jetzt bin ich aber meinem Sohn eine Erklärung schuldig.«
Blair fühlte sich wie vernichtet, als sie das Haus wieder verließ und sich auf den Heimweg machte. Reed hatte nach seinem Stallburschen schicken lassen, der sie nach Hause fahren sollte; aber Blair hatte abgewinkt. Heute war ihre Hochzeitsnacht, die zu der glücklichsten Zeit ihres Lebens gehören sollte, und wenn sie diese nicht mit ihrem Gatten verbringen konnte, dann gewiß nicht mit einem anderen Mann. Doch nun hatte sich ihr Glück in einen Alptraum verwandelt.
Wie sehr mußte Leander sie im stillen ausgelacht haben, als sie zu ihm sagte, sie hoffte, ihre Ehe zu einem Erfolg zu machen. Es war ihm egal gewesen, wen er heiratete. Houston war hübsch und hätte eine gute Arztfrau abgegeben; also bat er sie um ihre Hand. Doch dann war sie ihm zu kühl gewesen, und als Blair schon am ersten Abend, den sie zusammen verbrachten, in sein Bett gesprungen war, hatte er beschlossen, sie an Stelle ihrer Schwester zu heiraten. Was spielte das schon für eine Rolle, da er sein Herz bereits an eine andere Frau verloren hatte?
»Da ist sie?« zischelte eine Männerstimme hinter ihr.
Es wurde bereits wieder hell, und sie sah einen schmächtigen Mann auf einem Pferd, der mit dem Finger auf sie wies. Einen Augenblick lang war Blair ein bißchen stolz, daß man sie bereits auf der Straße als Ärztin erkannte. Sie blieb stehen und blickte zu dem Reiter hinauf, hinter dem noch drei Männer auf ihren Pferden warteten.
»Ist jemand verletzt?« fragte sie. »Ich habe meine Arzttasche nicht bei mir; aber wenn einer von euch mich aufsitzen läßt, reiten wir schnell zu meinem Haus und besorgen sie.«
Der Cowboy blickte sie einen Moment verdattert an.
»Doch falls Sie lieber meinen Mann konsultieren wollten, kann ich Ihnen leider nicht sagen, wo er ist«, fuhr sie mit einiger Bitterkeit fort. »Ich glaube, Sie werden schon mit mir vorlieb nehmen müssen.«
»Wovon redet die eigentlich, Cal?« fragte einer der drei im Hintergrund.
Cal hob rasch die Hand. »Nein, ich brauche Ihren Mann nicht. Wollen Sie bei mir aufsitzen?«
Blair nahm die Hand, die er ihr hinunterstreckte, und ließ sich von ihm auf das Pferd hinaufziehen. »Mein Haus ist. . .« sagte sie, mit dem Finger weisend; doch er ließ sie nicht zu Ende sprechen.
»Ich weiß, wo ihr Haus ist, hochmächtige Miss Chandler. Oh, Sie sind ja inzwischen eine Mrs. Taggert geworden.«
»Was ist das?« sagte Blair erschrocken. »Ich bin nicht. . .« Doch der Cowboy legte ihr rasch die Hand auf den Mund, daß ihr die Worte im Hals steckenblieben.
Leander legte eine Hand ins Kreuz und versuchte so die heftigsten Stöße der Lehne gegen seinen Rücken abzufangen. Er mußte zugeben, daß er einen schlimmen Anfall von Selbstmitleid hatte. Eigentlich hätte er die letzte Nacht in den Armen seiner neuen Frau verbringen sollen, in einem weichen Bett, in dem sie sich liebten, miteinander lachten und einander näherkamen. Doch statt dessen hatte er einen Berg hinunterklettern und anschließend wieder hinaufklettern müssen — mit einem halb bewußtlosen Mann über der Schulter.
Als er gestern abend zur Mine gekommen war, waren die Tore verschlossen und kein Wächter zu sehen gewesen. Aber er hatte sie laut rufen hören im Lager und ein paar Frauen, die sich wütend beschwerten. Da hatte er sein Pferd und seine Kutsche in der Nähe versteckt, war den Berg hinaufgestiegen und auf der anderen Seite wieder
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