Herz aus Feuer
betete er zum Himmel, daß sie ihn nicht fragte, warum er denn unbedingt die Verletzten vesorgen mußte, wenn es noch andere Ärzte in Chandler gab, die diese Aufgabe hätten übernehmen können. Auch würde in der Zeitung kein Bericht von dieser angeblichen Schießerei stehen.
Wenn sie ihm zu arg zusetzte, würde er den Beleidigten spielen, weil sie kein Vertrauen zu ihm habe und offensichtlich ihre Ehe mit einem Mißklang beginnen lassen wollte.
Daheim angekommen, war er fast erleichtert, als er Blair dort nicht vorfand. Er war zu müde, um seine großartige Lügengeschichte noch überzeugend vortragen zu können, klemmte eine Scheibe Schinken zwischen zwei dicke Weißbrotschnitten und ging hinauf in das Schlafzimmer. Hier herrschte ein schreckliches Durcheinander: Blairs Kleider lagen auf dem ungemachten Bett verstreut. Er öffnete den Kleiderschrank, sah mit einem Blick, daß ihr Hosenanzug mit dem roten Kreuz auf dem Ärmel fehlte, und war nun sicher, daß sie ins Krankenhaus gegangen war, um sich um seine Patienten zu kümmern. Er würde mit den Männern des Verwaltungsrates reden müssen, damit sie die Arbeitserlaubnis für Blair verlängerten. Beim erstenmal, als sie ihm eine befristete Genehmigung dafür erteilten, mußte er ihnen versprechen, fast jede Schicht zu übernehmen, ehe sie ihm erlaubten, sie in den Operationssaal mitzunehmen. Er hatte geschuftet für drei; aber es hatte sich für ihn gelohnt. So war es ihm schließlich gelungen, Blair doch noch für sich zu gewinnen.
Er aß die Hälfte seines belegten Brotes, kroch unter die Bettdecke, drückte Blairs Nachthemd an seine Brust und schlief ein.
Als er wieder erwachte, war es acht Uhr abends. Er spürte sofort, daß das Haus leer war, und sogleich fragte er sich besorgt, wo Blair sein könnte. Um diese Zeit hätte sie längst von ihrem Dienst im Krankenhaus zurück sein müssen. Er stieg aus dem Bett, begann, die zweite Hälfte des belegten Brotes aufzuessen, die neben ihm auf dem Kopfkissen gelegen hatte — sie schmeckte wie aufgeweichtes Papier —, und entdeckte dann auf dem Boden des Kleiderschrankes Blairs Ärztetasche.
Einen Moment lang setzte sein Herzschlag aus. Sie würde nie — niemals — das Haus ohne ihre Ärztetasche verlassen. Es war schon ein Wunder, daß sie sie gestern nicht unter dem Arm getragen hatte, als sie zum Traualtar gegangen war.
Doch nun lag sie hier im Schrank.
Er warf den Rest des belegten Brotes weg, raste durchs Haus und rief unentwegt ihren Namen. Vielleicht war sie nach Hause gekommen, als er noch schlief, und das Haus schien nur leer zu sein. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er sich davon überzeugt hatte, daß sie wirklich nicht da war — weder drinnen noch draußen.
Er ging ans Telefon und bat die Vermittlung, ihn mit dem Hospital zu verbinden. Niemand hatte dort Blair seit der Hochzeit gesehen. Nachdem er sich ein paar rüde Scherze hatte anhören müssen, daß Blair schon ihren Fehler eingesehen habe und ihm davongelaufen sei, legte Lee wieder auf.
Fast im selben Moment läutete das Telefon.
»Leander« — das war die Stimme von Caroline, die tagsüber die Gespräche vermittelte —, »Mary Catherine hat mir erzählt, daß Blair gestern nacht deinen Vater angerufen hat, und zwar gleich nachdem du das Haus verlassen hast, um deinen armen Mr. Smith zu behandeln. Vielleicht weiß der, wo sie steckt.«
Leander biß sich auf die Zunge, damit er ihr nicht sagte, was er von einer Vermittlung hielt, die alle Gespräche belauschte. Aber vielleicht hatte er diesmal sogar Grund, ihr dafür dankbar zu sein. »Thanks«, murmelte er, hängte ein, eilte in den Stall, um seinen Hengst zu satteln, und war in Rekordzeit beim Haus seines Vaters.
»Du hast ihr was erzählt?« brüllte Leander seinen Vater an.
Reed schien vor dem Zorn seines Sohnes zusammenzuschrumpfen wie ein Blatt, das man über eine Flamme hält. »Ich mußte mir rasch eine Geschichte ausdenken. Und die einzige Möglichkeit, die mir einfallen wollte, um sie daran zu hindern, dir zu folgen, war eine Geschichte von einer anderen Frau. Nach allem, was ich von euren gemeinsamen Eskapaden hörte, sind Feuersbrünste, Krieg oder Arbeiteraufstände für sie doch eher ein Anreiz, sich mitten ins Getümmel zu stürzen.«
»Du hättest ihr aber eine andere Geschichte erzählen können — jede andere Geschichte wäre besser gewesen als diese Lüge von meiner wahren Liebe, die mich in Chandler besuchen wollte! Und daß ich Blair nur geheiratet hätte
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