Herz aus Feuer
angezogen, sah aber alt und sehr erschöpft aus. Blair war überzeugt, daß er aufgeblieben war, weil er sich schreckliche Sorgen um Leander machte. Auf was hatte sich ihr Mann da nur eingelassen?
»Wo ist er?« fragte Blair, sobald sie in der hellerleuchteten Bibliothek, die mit dem Rauch zu vieler Pfeifen erfüllt war, ungestört sprechen konnten.
Reed stand schweigend vor ihr, während sein Gesicht sie mehr und mehr an eine Bulldogge erinnerte.
»Er ist in Gefahr, nicht wahr?« sagte Blair. »Ich wußte doch, daß es so sein würde. Wenn es sich um einen gewöhnlichen Fall handelte, hätte er mich mitgenommen. Aber an diesem ist etwas faul.« Reed sagte noch immer kein Wort.
»Die Telefonistin erzählte mir, daß er sich oft um einen Mr. Smith bemühen müsse. Ich möchte denken, es wird mir nicht schwerfallen, seine Adresse zu ermitteln. Ich kann auch von Haus zu Haus gehen und die Leute fragen, ob jemand Leander heute abend gesehen hat. Wie ich ihn kenne, ist er in seinem üblichen Höllentempo durch die Straßen geprescht, und so etwas fällt natürlich auf.« Blairs Gesicht glich sich allmählich dem ihres Schwiegervaters an — zeigte den Ausdruck äußerster Entschlossenheit.
»Mein Mann ist unterwegs zu einem Fall, der ihn selbst in Lebensgefahr bringt — wie damals, als wir im Kugelhagel verfeindeter Rancher einen Bauchschuß operieren mußten. Doch diesmal ist er allein. Ich glaube, daß ich ihm helfen kann. Vielleicht gibt es noch mehr Verletzte, und wenn Lee verwundet wird, muß ihn ja jemand verarzten. Wenn du mir nicht weiterhelfen willst, tut es ein anderer.« Sie wandte sich wieder zum Gehen.
Reed blickte ihr einen Moment verwirrt nach. Sie mochte zwar nicht erfahren, wo Lee sich im Augenblick befand; aber es würde ihr gewiß gelingen, eine Menge Leute hellhörig zu machen, wenn der Fall so wichtig war, daß Lee sogar die Hochzeitsnacht mit seiner Braut versäumte. Und später würden die Leute natürlich von dem Aufstand in der Kohlengrube erfahren, und es genügte, daß einer von ihnen zwei und zwei zusammenzählte und Leander mit diesem Aufstand in Verbindung brachte. Er mußte Blair etwas erzählen, was sie von ihrem Vorhaben abbrachte — etwas so Furchtbares, daß sie auf der Stelle wieder nach Hause fuhr und nicht die ganze Stadt aufweckte auf ihrer Suche nach Leander. Verdammt, warum hatte Lee nicht Houston heiraten können? Sie würde sich niemals nach dem Verbleib ihres Gatten erkundigt haben!
»Es handelt sich um eine andere Frau«, stotterte Reed, ehe ihm klar wurde, was er da sagte. Seine Frau hätte sich nur von etwas abbringen lassen, wenn sie geglaubt hätte, daß er sich einer anderen Frau zugewandt habe. Warum mußten Frauen immer daran zweifeln, daß sie geliebt wurden? Blair hätte das doch eigentlich wissen müssen, nach all den Narreteien, die Lee ihretwegen anstellte.
»Frau?« echote Blair, sich wieder zu ihm umdrehend. »Warum sollte er zu einer anderen Frau gehen? Ist sie krank? Wer ist dieser Mr. Smith? Weshalb hat er ständig irgendwelche Beschwerden? Wo ist mein Mann?«
»Die ... äh . . . Frau versuchte sich umzubringen, weil Lee heute geheiratet hat«, sagte Reed und wußte, daß er damit das Sohn-Vater-Verhältnis zerstört hatte. Lee würde ihm das nicht verzeihen, solange er lebte.
Blair setzte sich — oder fiel vielmehr — auf einen Stuhl »So eine Frau also«, flüsterte sie.
Wenigstens war es ihm gelungen, sie von Mr. Smith abzulenken, dachte Reed und verfluchte zugleich alle Mädchen, die in einer Telefonvermittlung arbeiteten.
»Aber wie konnte das denn mit Houston Zusammengehen? Schließlich war er jahrelang mit ihr verlobt. Wie konnte er da in eine andere verliebt sein?«
»Lee — äh — dachte, die Frau sei längst tot.« Vor ihm auf dem Tisch lag eine Zeitung, auf deren Titelseite von einer Räuberbande berichtet wurde, die eine Weile lang das Gebiet um Denver unsicher gemacht hatte, nun aber nach Süden weiterzog. Die Bande wurde von einer Frau französischer Abstammung geführt. »Er hat sie in Paris kennengelernt, und sie war die große Liebe seines Lebens; doch er glaubte, man habe sie umgebracht. Offensichtlich nicht; denn sie ist nach Chandler gekommen, um ihn hier zu suchen.«
»Wann?«
»Wann was?«
»Wann diese Frau nach Chandler gekommen ist!«
»Oh, das ist schon Monate her«, sagte Reed wegwerfend. »Ich denke, es ist besser, wenn du dir das Ende der Geschichte von Lee erzählen läßt.«
»Aber wenn sie schon vor Monaten
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