Herz aus Glas (German Edition)
weil ihr ständig überall die Fenster aufreißt!«
Darauf antwortete David nicht, sondern starrte mich schweigend und ein bisschen erschrocken an.
»Was ist?«, wollte ich wissen.
Er zuckte die Achseln und zog seine Decke noch etwas fester um sich. Ich ahnte, dass ihm ebenso kalt war wie mir. »Nichts!«, behauptete er. »Frierst du noch?«
Ich schluckte. Dann nickte ich.
Er öffnete seine Decke. »Komm!«, forderte er mich auf. Ich zögerte, aber dann lehnte ich mich an ihn und er schlang seine Decke um uns beide. Seine Haut war wärmer als meine und überall, wo wir uns berührten, floss ein schwacher elektrischer Strom. Vor Wonne hätte ich beinahe angefangen zu schnurren.
Ich hatte mich inzwischen so oft nach genau so einer Situation gesehnt, dass ich es kaum glauben konnte, was gerade geschah. Am liebsten hätte ich gleichzeitig gelacht und schon wieder geheult. Ich rieb mir mit meiner Decke über das Auge. Aus Versehen stieß ich dabei mit dem Ellenbogen gegen Davids Rippen.
Er zog Luft durch die Zähne. Offenbar tat die Prellung, die Henry ihm bei der Poolparty verpasst hatte, noch immer ziemlich weh.
»Entschuldige!«, murmelte ich und rückte ein winziges Stück von ihm ab. Das war eine dumme Idee, denn sofort hob er den Arm und entließ mich auf diese Weise aus seiner Decke. Mist! Mein Blick fiel auf das Tattoo an seiner Seite. Ohne recht darüber nachzudenken, was ich tat, streckte ich eine Hand hervor und näherte sie dem Tattoo. David saß völlig still, aber kurz bevor ich es berührte, sagte er: »Nicht, Juli!«
Meine Hand zuckte zurück. »Henry hat mir gesagt, dass Charlie wollte, dass du das Tattoo …«
Er legte mir die Fingerspitzen auf die Lippen. »Ich habe gesagt: Nicht!«
Ich wich der Berührung aus, indem ich den Kopf zur Seite drehte. »Charlie …«, setzte ich an.
»Charlie ist nicht hier.«
Und da wurde mir endlich klar, dass es stimmte. Charlie war in diesem Moment zum allerersten Mal nicht bei uns, nicht zwischen uns. Wieso war ich eigentlich so blöd, sie unbedingt herbeireden zu wollen? Sie war weg. Ich war hier!
»Du hast recht«, murmelte ich. Dann fasste ich mir ein Herz. Schüchtern rückte ich wieder näher und zu meiner Freude öffnete David erneut die Decke, sodass ich darunterkriechen konnte. Mit einem wohligen Seufzen legte ich den Kopf an seine Schulter und wartete ängstlich darauf, ob ihm das zu viel war, ob er mich wieder von sich schieben würde. Aber das tat er nicht. Stattdessen zog er seine Decke fester um uns.
Sein Gesicht war ganz dicht an meinem Haar und ich konnte seinen Atem warm auf meiner Kopfhaut spüren.
Zufrieden schloss ich die Augen, öffnete sie aber gleich darauf wieder. »David?«
»Ja?«
»Was ist auf der Klippe passiert?«
Er antwortete nicht sofort, und als er zu sprechen anfing, war seine Stimme belegt. »Es gibt etwas, das du nicht weißt. Niemand außer mir weiß es.«
Schlagartig stand Rickys Anschuldigung wieder im Raum, der Verdacht, dass er Charlie von der Klippe gestoßen hatte. Ich wollte mich losmachen, um David ins Gesicht sehen zu können, aber er spannte die Muskeln an und entließ mich nicht.
»Bleib sitzen«, bat er. »Dann ist es leichter für mich.« Er schluckte schwer, dachte nach. Dann sagte er leise: »An dem Tag, an dem … Charlie …«
Ich saß ganz still. David sprach zum ersten Mal über die Augenblicke auf der Klippe! Nicht ganz freiwillig zwar, aber immerhin. Ich durfte den Moment nicht zerstören.
»Charlie hatte mich gebeten, mich dort mit ihr zu treffen. Sie wollte etwas mit mir besprechen.« Ich spürte, wie er den Kopf zurücklehnte, gegen die Kiste stützte. Er schwieg eine ganze Weile.
Angst klammerte eine kalte Hand um mein Herz.
»Sie ließ mich warten«, sagte er. Die Worte kamen jetzt immer schneller aus seinem Mund. »Sie ließ mich eigentlich immer warten, das war ich von ihr gewohnt. Aber diesmal reichte es mir. Ich hatte schon länger überlegt, ob es eine gute Idee war, dieser Verlobung zuzustimmen, und als Charlie dann endlich kam, hatte ich einen Entschluss gefasst.«
Meine Angst wuchs. Was kam jetzt?
»Sie wirkte traurig, ganz sonderbar. Sie gab mir einen Brief, den sie auf ihrem Briefpapier geschrieben hatte.«
Der fliederfarbene Umschlag in seiner Hosentasche.
»Sie bat mich, ihn zu lesen, aber ich tat es nicht. Ich steckte den Brief ein.« Er biss die Zähne zusammen, so fest, dass ich die Bewegung bis hinunter in seine Schulter spüren konnte. »Und dann habe ich mit ihr
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