Herz aus Glas (German Edition)
haben Sie, Grace?«, fragte David. Schlagartig war das Lächeln aus seiner Miene verschwunden.
Grace schüttelte schweigend den Kopf. Sie blieb stehen. Dann sah sie mich an und ihre Lippen wurden zu schmalen weißen Strichen. »Nichts, Master David«, murmelte sie. »Ich denke nur, Sie sollten den Fluch nicht vergessen!«
G laubst du, man sollte ihre Warnungen ernst nehmen?«, fragte ich David. Er hatte darauf bestanden, mich bis zur Tür meines Appartements zu begleiten. Wir betraten gerade das Gästehaus.
Er schüttelte den Kopf. »Ich werde dafür sorgen, dass sie dich in Zukunft nicht mehr belästigt.«
In diesem Moment wirkte er sehr grimmig, und da ich nicht wollte, dass er sich wieder in den alten, düsteren David zurückverwandelte, hakte ich nicht weiter nach.
»Entschuldige«, sagte ich stattdessen leise, als wir vor meinem Appartement ankamen.
»Wofür entschuldigst du dich?«
Ich strich über seine nasse Brust. »Dafür, dass ich dir die Klamotten vollgeheult habe.«
Er lächelte schwach.
»Ich möchte gern alles wissen, was dich bedrückt, und ich …« Ich konnte nicht zu Ende sprechen, denn wieder legte er mir die Finger auf die Lippen.
»Lass gut sein für heute!«, sagte er leise. Kurz waren sich unsere Gesichter sehr nahe und ich zitterte etwas bei dem Gedanken, dass er mich küssen könnte.
Aber er tat es nicht. Stattdessen nahm er den Finger von meinem Mund und trat einen Schritt zurück. »Schlaf gut!«
»Ja. Du auch.« Ich betrat mein Appartement, schaltete das Deckenlicht ein und schloss die Tür hinter mir. Dann lauschte ich, was David nun tun würde. Vielleicht, so hoffte ich, würde er ja gleich wieder klopfen. Aber seine Schritte entfernten sich und gleich darauf konnte ich unten die Haustür klappen hören.
Seufzend machte ich mich auf den Weg ins Bad und begann noch im Gehen, meine nassen Sachen auszuziehen. Als ich an meinem Bett vorbeikam, stutzte ich.
Rebecca lag auf meinem Nachtschrank, als sei es niemals fort gewesen! Verwundert nahm ich es, betrachtete das Bild des brennenden Herrenhauses und schlug dann die erste Seite auf. Da stand Charlies Name, genau, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Seltsam.
Ich grübelte, was das nun schon wieder zu bedeuten hatte. Vermutlich hatte Grace das Buch doch fortgenommen und es irgendwann im Laufe des Tages wieder hingelegt. Ich überlegte, ob ich es jetzt sofort zu David bringen sollte, aber ich hatte keine Ahnung, was für Bomben sich in diesem Text befanden, die das zerbrechliche Glück, das wir beide heute gefunden hatten, möglicherweise gleich wieder zum Einsturz bringen würden. Die Stunden in Davids Armen waren zu schön und zu kostbar gewesen, um sie aufs Spiel zu setzen. Ich knipste meine Nachtschranklampe an und beschloss, David vorerst nicht zu sagen, dass das Buch wieder da war. Erst einmal würde ich es selbst lesen, und zwar noch heute Nacht!
Bedächtig legte ich das Buch zurück auf den Nachtschrank, dann duschte ich so heiß wie möglich, schlüpfte in Jogginghose und T-Shirt und putzte mir die Zähne. Als ich zurück in mein Schlafzimmer kehrte, klopfte es an meiner Appartementtür. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
David?
»Es ist offen!«, rief ich.
Die Tür schwang auf und herein kam Taylor, die auf einem kleinen silbernen Tablett ein Glas mit Milch balancierte.
Ich verscheuchte die Enttäuschung, dass es nicht David war, und schenkte ihr ein bedauerndes Lächeln. »Ich habe schon die Zähne geputzt.«
Sie stellte das Glas trotzdem auf meinem Nachtschrank ab. »Vielleicht überlegst du es dir ja noch anders.«
Nachdem sie wieder weg war, schaltete ich alle Lampen bis auf die auf meinem Nachtschrank aus, warf mich mit Rebecca aufs Bett und begann zu lesen. Doch ich kam an diesem Abend nicht weit, denn keine zwanzig Minuten später überfiel mich eine solche Müdigkeit, dass ich anfing zu gähnen und die Zeilen vor meinen Augen verschwammen. Trotzig blinzelte ich gegen die Schläfrigkeit an, aber der Text ergab jetzt immer weniger Sinn.
Ich erwachte, weil mein Nacken schmerzte. Völlige Finsternis umgab mich und ich schrak hoch. War da ein Geräusch gewesen? Die Muskeln an meinem Hals protestierten mit einem heftigen Ziehen gegen die ruckartige Bewegung und ich begriff, dass ich beim Lesen eingeschlafen sein musste. Mein Kopf war mir auf die Brust gesunken. Darum war auch mein Nacken so verkrampft.
Aber warum war es dunkel? Ich war sicher, dass beim Einschlafen noch meine Nachtschranklampe gebrannt hatte.
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