Herz aus Glas (German Edition)
erneut Blickkontakt zu David. Vergeblich. Seine Augen waren so dunkel, dass man den Übergang von Pupille zu Iris nicht erkannt hätte, wenn da nicht ein schmaler goldener Ring gewesen wäre, der beides voneinander trennte. Davids Augäpfel schimmerten so rot, dass ich mir vorstellen konnte, wie sie brannten.
Und dann, endlich, begegneten sich unsere Blicke zum ersten Mal.
»Hallo Juli«, sagte er. Er hatte eine sehr ruhige Stimme. Eine Stimme, die etwas tief in meinem Innersten zum Schwingen brachte. Plötzlich fühlte ich mich wie aus Glas. Durchsichtig, zerbrechlich. Eine unbedachte Bewegung und ich würde in tausend Scherben zerspringen.
»Hallo David«, gab ich zurück. Der eisige Dezemberwind schien schlagartig noch um drei, vier Grad kälter geworden zu sein.
Er hat nicht eine Träne vergossen, seit Charlie gestorben ist, dachte ich mit einem Schaudern.
Himmel, auf was hatte ich mich da eingelassen?
Eine Woche zuvor hatte ich noch friedlich und völlig ahnungslos in meinem Zimmer gehockt und versucht, mich auf eine Matheaufgabe zu konzentrieren, die ich vor Weihnachten noch erledigt haben musste und einfach nicht lösen konnte. Als mein Dad klopfte, warf ich frustriert den Bleistift auf das Heft. »Darf ich reinkommen?«, fragte er durch die geschlossene Tür.
»Klar!« Ich verschränkte die Hände im Nacken und lehnte mich auf meinem Schreibtischstuhl so weit zurück, dass die Lehne bedenklich knirschte.
Dads Kopf erschien im Türspalt. »Was machst du gerade?« Seine Augen hinter der Brille wirkten müde und sein rotbrauner Schopf war zerzaust. Offenbar hatte er sich über seinem neuesten Roman ebenso die Haare gerauft wie ich über meiner Matheaufgabe.
»Die Weltformel suchen«, antwortete ich mürrisch. »Kommt mir jedenfalls so vor!«
Dad lachte. »Oje!« Er war der Autor einiger ziemlich erfolgreicher Schnulzen (Romantic Thriller nannte er sie), die ihn und mich aus dem beschaulichen good old Germany in ein Landhaus in Massachussetts gebracht hatten. Seit zwei Jahren besuchte ich eine Highschool in Boston. Mir gefiel es hier in Amerika. Ich mochte die Landschaft, den Indian Summer mit seinen flammenden Farben, die entspannte Ostküstenkultur. Alles hätte perfekt sein können, wenn meine Eltern nicht beschlossen hätten, sich scheiden zu lassen, kaum dass mein Vater den ersten Bestseller hingelegt hatte. In seinen Büchern gab es für jedes Pärchen ein Happy End. Von Scheidungen und Ehekrisen war darin nie die Rede. Wie ungerecht!
Ich seufzte tief. Mir war selbst nicht klar, ob wegen der Matheaufgabe oder wegen meiner noch immer in Deutschland lebenden Mutter.
»Hast du trotzdem einen Moment Zeit für mich?«, fragte Dad.
Ich beugte mich wieder vor. Die Lehne ächzte erleichtert. Mit einer energischen Geste klappte ich das Matheheft zu und grinste. »Die Menschheit muss wohl noch eine Weile ohne die Weltformel auskommen.« Dann wurde ich wieder ernst. »Was ist denn los?«
Er wirkte seltsam. Besorgt wäre eine Übertreibung gewesen, aber nachdenklich traf es ganz gut. »Ich habe eben mit Jason telefoniert.«
Jason Bell. Sein amerikanischer Verleger. Den Gerüchten nach einer der reichsten Männer rund um Boston.
»Okay«, sagte ich gedehnt. »Ist irgendwas mit dem neuen Buchvertrag?«
Er winkte ab. »Nein, nein! Keine Sorge! Da ist alles in Ordnung.« So weit in Ordnung, wie es sein konnte, wenn der Autor in einer Schaffenskrise steckte, dachte ich, schwieg aber. Immerhin hatte Dad bisher jedes seiner Bücher irgendwann in den Griff bekommen, selbst nachdem er angefangen hatte, sie gleich in Englisch zu schreiben, um als amerikanische Originalausgabe zu erscheinen.
»Es geht allerdings schon um das Buch«, fuhr er fort und schaute ein wenig schuldbewusst. »Jason hat mich gebeten, direkt nach Weihnachten nach Vineyard zu kommen, um es in seinem Haus fertig zu machen.«
»Oh«, murmelte ich. Also war die Sache mit der Schaffenskrise doch ernster, als ich gedacht hatte.
»Ich stecke ein bisschen fest und Jason meint, er kann mir besser helfen, wenn wir an einem Tisch sitzen.«
»Du musst für ein paar Tage weg.« Ich nickte. Das war kein Problem für mich. Ich war siebzehn. Und ich hatte schon Wochenenden allein zu Hause verbracht, als ich noch in die Grundschule gegangen war. Ich hatte es immer als Preis dafür angesehen, dass meine beiden Eltern ihren Lebensunterhalt als Künstler verdienten.
Dad lächelte. Ich wusste, dass er ein schlechtes Gewissen hatte, und so fügte ich hinzu:
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