Herz aus Glas (German Edition)
Schluss gemacht«, flüsterte er.
Ich richtete mich auf. Wartete, ob noch etwas kam. Dann wandte ich ein wenig den Kopf. David sah mich an. »An dem Tag, an dem Charlie von der Klippe gesprungen ist, habe ich sie sitzen gelassen, Juli.« Seine Stimme war jetzt angefüllt mit all den Schuldgefühlen, die ich schon die ganze Zeit in seinen Augen gesehen hatte.
Ich legte eine Hand an seine Brust. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. In mir kämpften Furcht und Freude um die Vorherrschaft. Er hatte Schluss gemacht mit Charlie? Er hatte sie gar nicht so sehr geliebt, wie ich geglaubt hatte? Ich konnte es nicht fassen.
»Du …« Meine Stimme krächzte. »Sie war nicht der Typ, der sich umgebracht hätte. Du konntest es nicht ahnen.«
»Ich habe den Brief erst später gelesen«, murmelte er. »Ich hätte es wissen müssen.«
Ich rückte jetzt erneut ein Stück von ihm fort, diesmal mit voller Absicht, damit ich ihm richtig ins Gesicht sehen konnte. Seine Augen waren rot. Er weinte noch immer nicht. Warum nicht? Was war da noch, das ihn davon abhielt? Was würde noch kommen? Ich verspürte einen Anflug von Frustration. Zwar hatte ich etwas Wichtiges erfahren, aber aus irgendeinem Grund hatte ich trotzdem nicht das Gefühl, dass es mich David wesentlich nähergebracht hatte. Irgendwas stand noch immer zwischen uns.
»Was noch, David?«, flüsterte ich.
Aber er verschloss sich jetzt genauso schnell wieder, wie er sich mir geöffnet hatte. Eine Auster war nichts dagegen. Ich unterdrückte die Enttäuschung.
»Darf ich dich um was bitten?«, flüsterte ich.
Fragend sah er mich an.
»Halt mich einfach nur fest!«
Und das tat er. Ich legte den Kopf wieder gegen seine Schulter. Und beschloss, dass ich geduldig sein würde.
»Juli?«
Davids Stimme drang durch den angenehmen Schleier der Benommenheit, der mich in der letzten Stunde eingehüllt hatte.
»Hm?«, murmelte ich.
»Alles okay?« Er rückte ein Stück von mir ab und fast hätte ich aufgeschrien: Nicht! Stattdessen setzte ich mich auf.
»Klar.«
»Geht es dir ein bisschen besser?«
Meine Übelkeit war fort, der Schwindel auch. Fast jedenfalls. Ich nickte.
»Gut.« David richtete den Blick durch das einzige kleine Fenster des Bootshauses nach draußen. Inzwischen war es stockfinster geworden. An dem leisen, aber stetigen Rauschen hinter der Bretterwand konnte ich hören, dass es nach wie vor regnete. »Ich fürchte, wir müssen zurück, sonst machen sie sich noch Sorgen um uns.«
»Du könntest anrufen«, widersprach ich. Er beugte sich ein Stück zur Seite, langte nach seiner durchnässten Jacke und zog sein Handy hervor. Wasser tropfte daraus hervor, als er es in die Höhe hielt.
»Das ist hin«, sagte er.
»Es regnet immer noch«, startete ich einen lahmen zweiten Versuch, ein paar weitere gemeinsame Minuten zu schinden, aber zu meinem grenzenlosen Bedauern stand David jetzt auf.
»Ich weiß. Aber es nützt nichts.« Er begann, seine nassen Klamotten anzuziehen. Ich sah zu, wie der schwarze Stoff seines T-Shirts das Tattoo verdeckte. Als David mir den Rücken zuwandte, zog ich mich ebenfalls an. Meine Sachen waren klamm und ekelig. Ich kontrollierte mein eigenes Handy. Es hatte den gleichen Gang über den Jordan angetreten wie das von David. »Na toll!«, grummelte ich. Es tröstete mich ein wenig, dass Dad mir ja ein neues versprochen hatte, weil ich mit ihm nach Martha’s Vineyard gekommen war.
David öffnete die Tür und warf einen missmutigen Blick in den Regen hinaus. »Also dann!«, seufzte er.
Keine zehn Minuten später erreichten wir das hell erleuchtete Sorrow . Atemlos stolperten wir durch den Haupteingang in die Halle, und obwohl wir so schnell wie möglich gerannt waren, fror ich schon wieder. Aber das war mir egal, denn ich genoss es, in Davids Nähe zu sein und zu wissen, dass die Sache mit Charlie zu Ende gewesen war, bevor wir uns kennengelernt hatten.
»Ich glaube«, grinste ich, halb trunken vor Glück, »ich muss die nächsten vier Wochen nicht mehr duschen.«
Er lächelte und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren, sodass es in mein Gesicht spritzte.
Ich musste lachen. »He!«, rief ich. Dann zuckte ich erschrocken zusammen.
Auf der obersten Stufe der Freitreppe stand Grace.
David drehte sich um, um zu sehen, wovor ich mich erschreckt hatte. »Grace!« Seine Stimme klang vorwurfsvoll.
Sie legte eine Hand auf das Geländer und kam ein paar Stufen nach unten. Ihr Gesicht wirkte ernst und ziemlich beunruhigt.
»Was
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