Herz aus Glas (German Edition)
Kopfschütteln. Es war schon etwas Wahres dran, an meiner Vermutung, dass alle Leute auf Sorrow einen Knall hatten.
Jetzt sah ich David an.
Ich konnte nur hoffen, dass er irgendwann über alles hinwegkommen würde. Und ich war wild entschlossen, alles zu tun, was dafür notwendig war.
Die letzten Lautsprecher, die noch versteckt gewesen waren, hatte man inzwischen gefunden und entfernt. Man hatte auch noch einmal in meinem Appartement nachgesehen. Erfolglos. Die Frage, warum ich Madeleines Geflüster in meinem Zimmer gehört hatte, würde ebenfalls unbeantwortet bleiben müssen. Es war mir fast egal. Sorrow würde jetzt hoffentlich endlich zur Ruhe kommen.
Wenn Madeleine Bower damit einverstanden ist.
Ich blinzelte und schob diesen verrückten Gedanken weit von mir. Grace sandte mir einen langen, durchdringenden Blick und ich hatte das unheimliche Gefühl, dass sie wusste, was ich dachte.
»Machen Sie besser keine Scherze über Madeleine, Master David!«, sagte sie ernst.
Er nickte. »Stimmt. Da haben Sie wohl recht!« Dann wandte er sich an seinen Vater. »Mach's gut.« Die Verabschiedung der beiden hatte bereits drinnen in der Halle stattgefunden und sie war gewohnt kühl, fast eisig ausgefallen. Ich nahm mir vor, irgendwann herauszufinden, was zwischen den beiden geschehen war. Aber das konnte warten. Für lange Zeit hatte ich jetzt erst einmal genug von Rätseln, düsteren Geheimnissen und vor allem von Trauer.
Dad hatte David überredet, mit uns nach Boston zu kommen, damit er dort wieder ganz gesund werden konnte. Vielleicht würde er danach ein Studium am MIT anfangen, aber auch das war noch Zukunftsmusik.
Jetzt nahm ich ihn erst einmal mit nach Hause, um dafür zu sorgen, dass dieser verwundete Blick aus seinen Augen verschwand.
Vielleicht würden dann ja auch die scharfkantigen Splitter in meiner Brust wieder zu einem ganz normalen Herzen werden.
Über das Auto hinweg grinste Dad David an. »Einsteigen!«, befahl er gut gelaunt. »Sonst verpassen wir die letzte Fähre!«
»Bloß nicht!« Ich half David, sich auf die Rückbank zu setzen. Er atmete scharf ein, weil seine Rippen noch immer schmerzten, aber er lächelte. Ich verabschiedete mich von Jason und dann auch von Grace.
»Leben Sie wohl, Grace!«, sagte ich.
Sie nickte mir zu. »Nicht Lebewohl, Miss Wagner. Auf Wiedersehen!« Sie sagte es, als sei sie sich ganz sicher, dass wir uns wiedersehen würden. Und aus irgendeinem Grund war ich es auch.
Kurz ließ ich den Blick über den Parkplatz wandern, suchte nach einer Frauengestalt im roten Kleid.
Grace lächelte wissend.
Ich beschloss, die gespenstischen Bilder für immer aus meinem Kopf zu verbannen. »So schnell werden Sie mich auf Sorrow nicht wiedersehen!«, behauptete ich.
Sie wiegte den Kopf, als wollte sie sagen: Wir werden sehen!
Dann stieg ich zu David in den Wagen. Er reichte mir seine Hand und ich nahm sie. Seine Haut war kalt. Ich begegnete seinem Blick und mein Herz klopfte heftig, als er mich anlächelte.
»Sehen wir zu, dass wir von hier verschwinden!«, sagte ich.
Heute, da all diese Dinge längst Vergangenheit sind, weiß ich, dass Grace recht behalten sollte.
Ich sollte schneller nach Sorrow zurückkehren, als mir lieb war.
Doch in diesem Augenblick, als mein Vater die Tür zuschlug und Gas gab, lagen diese Dinge noch in der Zukunft. Wir rollten aus der Ausfahrt und die Straße hinunter.
»Hey!« Davids Stimme war ganz leise, und als ich nicht sofort reagierte, fasste er mir unter das Kinn und drehte meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen musste. »Alles okay?«, fragte er sanft.
Meine Haut kribbelte an der Stelle, wo seine Finger mich berührten. Ich antwortete ihm nicht. Ich lächelte nur.
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