Herz aus Glas (German Edition)
offenen Augen zur Decke. »Ich kann nicht schlafen«, sagte er leise. Aber seine Lider flatterten bereits.
Ich beugte mich über ihn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich liebe dich«, flüsterte ich ihm zu.
»Genau das ist das Problem«, murmelte er. Und als seine Augen bereits zu waren, flüsterte er: »Verlass die Insel! Bitte!«
Dad hatte in einem völlig ungewöhnlichen Anfall von Pragmatismus dafür gesorgt, dass Grace uns unsere alten Appartements im Gästehaus zurechtmachte. Als das geschehen war, kam er, um nachzusehen, wie es David ging.
Ich legte meinen Zeigefinger an die Lippen, als er hereinkam. »Er schläft!«
Dad kam an Davids Bett und blickte auf ihn herab. »Du liebe Güte!«, murmelte er. Mehr sagte er nicht und ich war dankbar dafür. »Brauchst du was?«
Ich überlegte. Ich hatte David versprochen, dass ich bei ihm bleiben würde, solange er schlief. Also konnte ich nicht weg, um endlich herauszufinden, welche Geister auf Sorrow noch immer herumspukten. Aber es gab eines, was ich tun konnte.
»Ja«, sagte ich zu Dad. »Du könntest mir das Buch geben, das ich in meinem Koffer habe.«
Er versprach, es zu bringen, und ging. Als er kurz darauf wiederkam, schaute er stirnrunzelnd auf die gebundene Ausgabe von Rebecca, die er in der Hand hielt. Ich hatte länger überlegt, ob ich sie mitnehmen sollte, und sie dann, einer inneren Eingebung folgend, eingepackt.
David regte sich im Schlaf und murmelte irgendwas Unverständliches. Ich nahm seine Hand und hielt sie fest.
»Brauchst du noch was?«, flüsterte Dad.
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich komme ab und zu nach euch sehen«, versprach er, bevor er ging. Ich ließ Davids Hand für einen Moment los, aber nur, um mir einen Sessel neben sein Bett zu schieben. Dann warf ich David einen langen Blick zu und begann zu lesen.
Irgendjemand musste Jason gesagt haben, dass Dad und ich wieder auf der Insel waren, denn ungefähr eine Stunde nachdem ich mich in Rebecca vertieft hatte, öffnete sich die Tür und er kam herein. Er war offenbar auf der Jagd gewesen, trug robuste Kleidung und Schuhe und wie an meinem ersten Tag auf Sorrow ein Schrotgewehr mit aufgeklapptem Lauf über dem Arm.
»Juli!«, rief er, als er mich sah.
»Scht!« Ich zeigte auf David, der noch immer schlief. Dann legte ich das Buch auf seine Bettdecke und erhob mich.
»Ich wusste gar nicht, dass du wieder da bist!« Jetzt flüsterte Jason. Er kam zu mir und umarmte mich herzlich. Ich ließ seine Begrüßungsküsse über mich ergehen.
»Ist Bob auch da? Was macht ihr wieder hier?«
»Ja.« Ich lächelte möglichst mädchenhaft. »Ich hatte einfach Sehnsucht nach David.«
Über sein Gesicht glitt ein Schatten und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, was der Grund dafür war, dass die beiden sich so schlecht verstanden.
»Er ist auf dem Weg der Besserung«, sagte er. Dann hob er das Gewehr ein wenig in die Höhe. »Entschuldige mich bitte. Ich muss das hier wegschließen, damit nicht noch ein Unglück geschieht.«
Und damit verließ er das Zimmer wieder. Ich runzelte nachdenklich die Stirn. Er hatte David nicht einmal angesehen.
Mit der Nacht kam der Regen. In langen, heftigen Schauern prasselte er gegen die Scheiben, während ich Seite um Seite des Buches las, das David und mir so großen Kummer bereitet hatte. Das schlechte Wetter machte mir nicht das Geringste aus, denn ich hatte die Heizung im Zimmer hochgedreht und mit der Zeit wurde es richtig mollig warm.
Einmal zwischendurch wurde Davids Schlaf unruhig. Er begann, den Kopf hin und her zu werfen und unverständliches Zeug zu murmeln. »Nein!«, hörte ich heraus. Und einmal: »Nicht! Juli!«
Ich beugte mich über ihn, strich ihm die Haare aus der Stirn und flüsterte: »Ich bin hier. Es ist alles gut!«
Da beruhigte er sich wieder und schlief weiter, sodass ich zu Rebecca zurückkehren konnte.
Grace brachte irgendwann ein Tablett mit Abendessen. Ich bat sie, es auf dem Tisch abzustellen. Wieder mal musste ich ihren langen, vielsagenden Blick über mich ergehen lassen. Zum Glück verkniff sie sich aber auch diesmal jede Bemerkung und verabschiedete sich mit einem höflichen Kopfnicken. Ich beschloss, vorsichtig zu sein und von den Dingen auf dem Tablett nichts anzurühren. Immerhin war ich mir immer noch nicht sicher, was für eine Rolle Grace in diesem Spiel spielte.
Ich kehrte also erneut zu meinem Buch zurück, doch bald wurde mir die Luft im Schlafzimmer zu warm. Ich wollte nicht, dass David mit einem
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