Herz aus Glas (German Edition)
es war wieder wie früher. Er sah genauso schuldbewusst und düster aus wie beim allerersten Mal, als ich ihm auf der Treppe von Sorrow begegnet war. Als wären wir wieder dort, wo alles begonnen hatte. Ich konnte mir das nicht erklären.
Eigentlich konnte es nur einen einzigen Grund für sein Verhalten geben. »Denkst du, dass Taylor … unschuldig war?« Mir selbst war dieser Gedanke in den vergangenen Wochen immer mal wieder durch den Kopf geschossen. So, wie Taylor ausgesehen hatte, als Henry sie mit seinen ganzen Vorwürfen konfrontiert hatte, war sie von den Anschuldigungen überrascht gewesen. Und dazu kam noch etwas anderes: Wenn ich Taylor richtig verstanden hatte, dann hatte sie erst an dem Tag, an dem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, den Beweis erhalten, dass Charlie tatsächlich ihre Tochter war. Wenn das stimmte, wie konnte es dann sein, dass sie schon so viele Wochen früher angefangen hatte, einen derart perfiden Racheplan zu schmieden?
Ich konnte David ansehen, dass er sich ähnliche Gedanken gemacht hatte. Das also war der Grund, warum er versuchte, mich von sich fernzuhalten. Er versuchte noch immer, mich zu beschützen. »Du glaubst, dass der Täter noch immer …«
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nur …« Er zögerte, schien zu überlegen. Ich sah, wie er schluckte. »Ich glaube, dass du so einen kaputten Typen wie mich nicht verdient hast.«
Entgeistert starrte ich ihn an, überlegte, was ich jetzt sagen sollte. Ich liebte ihn, mehr, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Ich wollte nur eines: mit ihm zusammen sein. Am liebsten hätte ich ihn in meine Arme gezogen, ihn festgehalten und ihm das ins Ohr geflüstert. Aber ich wusste auch, dass jedes Wort von mir ihn in seiner Entschlossenheit nur bestärkt hätte. Er war offenbar noch immer der Meinung, dass es besser für mich war, ihn zu vergessen.
Ich beschloss also, von all diesen Gedanken, die mir in einem einzigen Sekundenbruchteil durch den Kopf schossen, keinen einzigen auszusprechen.
»Hast du einen Verdacht?«, wisperte ich stattdessen.
Doch er ging nicht auf meine Frage ein. »Niemals soll ein Paar auf Sorrow glücklich werden«, murmelte er. »Wir alle wissen das.«
»Es gibt weder Geister noch Flüche, David«, flüsterte ich und nahm wieder seine Hand. »Egal, was auch immer hier vorgeht, es ist ebenso real wie die Lautsprecher.« Wieder musste ich daran denken, dass in meinem Appartement kein Lautsprecher gefunden worden war. Ich schob den Gedanken beiseite.
»Mag sein«, sagte David. »Aber was, wenn es das Haus selbst ist, das die Menschen darin zu all diesen Dingen treibt?«
Ich begriff, dass er das durchaus ernst meinte. In diesem Moment war ich mir fast sicher: Er hatte einen Verdacht, wer tatsächlich hinter der ganzen Sache steckte. Aber wer mochte das sein?
Wenn es Taylor wirklich nicht gewesen war, die diesen ganzen technischen Aufwand getrieben hatte, gab es mehrere andere Möglichkeiten. Adam. Charlie war seine Adoptivtochter gewesen.
War es doch Grace? Wenn Taylor es nicht gewesen war, kam auch sie wieder infrage. Aber wenn er sie verdächtigte, warum arbeitete sie dann wieder hier? Er hatte schon einmal dafür gesorgt, dass sie das Haus verlassen musste. Er konnte es wieder tun. Er konnte sie wegschicken. Sie, nicht mich.
»Ich finde raus, wer es war, David!«, sagte ich.
Gequält sah er mich an. »Genau das ist der Grund, warum ich nicht wollte, dass du herkommst! Es ist zu gefährlich, Juli! Wenn der Täter tatsächlich noch immer hier ist, dann bist du nach wie vor in großer Gefahr!«
Mir kam ein Gedanke. »Was sagt eigentlich die Polizei zu dem Ganzen?«
»Sie hält Taylor für die Täterin. Für sie ist der Fall abgeschlossen.«
Ich nickte. »Sehr praktisch.«
»Das Gleiche hat Henry auch gesagt.« Davids Gesicht verlor jetzt zunehmend an Farbe.
»Haben sie dir geraten, im Bett zu bleiben?«, fragte ich.
Er nickte.
Ich stand auf. »Also, dann los!«, kommandierte ich. Und als er sich nicht rührte, nahm ich seinen gesunden Arm und zog vorsichtig daran.
Schmerzhaft verzog David das Gesicht, aber er gab endlich nach. Er ließ sich von mir auf die Füße helfen und zum Schlafzimmer führen. Als er sich auf die Bettkante setzte, war sein Gesicht vor Erschöpfung ganz grau. Mit einem unterdrückten Stöhnen ließ er sich nach hinten sinken. Ich half ihm, die Beine hochzulegen. »Schlaf ein bisschen«, riet ich ihm. »Ich bin hier und pass auf dich auf.«
Er starrte mit
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