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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Weihnachten. Da wir außer von Henry von niemandem erwartet wurden, mussten wir diesmal an der doppelflügigen Haustür klingeln. Grace öffnete uns. Als sie mich erkannte, fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf.
    »Miss Wagner!«
    Ich war nicht weniger überrascht, sie hier zu sehen, aber dann fiel mir ein, dass sie ja nichts für all die Dinge konnte, die passiert waren. Sie war an meinem Zustand nicht schuld gewesen, sondern Taylor. Es war nur normal, dass Jason sie wieder in dem Herrenhaus arbeiten ließ.
    Grace war klug genug, kein Wort über meine Rückkehr zu verlieren.
    »Ja, Grace«, sagte ich grimmig zu ihr. »Ich bin wieder da. Sie ja offenbar auch. Wo ist David?«
    Sie kam nicht dazu, mir eine Antwort zu geben.
    »Du hättest nicht herkommen dürfen«, sagte David von der obersten Stufe der großen Freitreppe.
    Er sah furchtbar aus. Er war noch dünner geworden. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen. Eine lange, nur halb verheilte Platzwunde zierte seine Stirn, eine weitere seine Wange direkt unter dem Auge. Er hielt sich sehr gerade und ich wusste, was der Grund dafür war: Er hatte sich bei seinem Sturz fünf Rippen gebrochen. Henry hatte mir das erzählt. Sein rechter Arm lag noch immer in einer Schlinge.
    Ich brauchte einen Moment, bis ich den Schrecken überwunden hatte. Dann entschied ich mich dafür, seine unfreundlichen Begrüßungsworte zu ignorieren. Ich ging zu ihm nach oben. Beiläufig bemerkte ich, dass der kalte Schauder diesmal ausblieb.
    Direkt vor David blieb ich stehen.
    »Du hättest nicht kommen dürfen«, wiederholte er. Sein Blick lag auf meinem Gesicht und in seiner Miene arbeitete es. Ich konnte den Schmerz sehen, der in seinen Augen lag.
    »Ich bin aber da«, sagte ich leise.
    Da wehrte er sich nicht mehr. Mit dem unverletzten Arm packte er mich, zog mich mit einem Ruck an sich. An der Art, wie seine Lippen weiß wurden, sah ich, dass er große Schmerzen haben musste, aber er umfing mich jetzt so fest, dass ich keine Chance hatte abzurücken, um seine gebrochenen Rippen zu schonen.
    »Oh Juli«, raunte er. »Ich habe dich so vermisst!«
    Plötzlich schossen mir Tränen in die Augen. »Ich dich auch.« Eine Weile blieb ich in seiner Umarmung, wohl wissend, dass Grace uns sehr genau beobachtete. Dann endlich machte ich mich los. »Gehen wir besser in dein Zimmer«, bat ich.
    In Davids Zimmer war es nicht viel wärmer als im Lilienzimmer früher. Ich unterdrückte ein Zittern. »Du sitzt noch immer im Kalten«, murmelte ich.
    David ließ sich mühevoll in einen Sessel sinken. »Es ist auch noch nicht vorbei«, sagte er.
    Ich ging zu ihm, ließ mich vor ihm auf die Knie nieder und nahm seine Hand. »Was meinst du damit?« An der Stelle, an der sein altes Klavier gestanden hatte, befand sich jetzt ein neues Instrument. Ich schaute auf die Schlinge, in der sein Arm hing, und fragte mich, wann er wohl wieder spielen können würde.
    »Madeleine.« Mehr sagte er nicht.
    Ich wartete.
    »Sie flüstert noch immer«, fügte er hinzu. In seiner Stimme lag ein Grauen, das mir den Boden unter den Füßen fortzog. Schlagartig war ich zurück auf den schwankenden Planken, aber diesmal war ich bei klarem Verstand. Diesmal würde ich mich nicht unterkriegen lassen.
    »Henry hat mir erzählt, dass sie das ganze Grundstück und auch die Felsen auf den Klippen abgesucht haben. Sie haben sechs Lautsprecheranlagen gefunden. Wenn du Madeleines Flüstern noch immer hörst, dann kann das nur daran liegen, dass sie eine übersehen haben.« Ein gruseliger Gedanke schoss mir durch den Kopf. In meinem Appartement war kein Lautsprecher gefunden worden, obwohl man sehr sorgfältig danach gesucht hatte. Wieso aber hatte ich die geheimnisvolle Stimme in meinem Zimmer gehört? War es wirklich nur eine Ausgeburt meiner hysterischen Fantasie gewesen, als ich mit dem Geist gesprochen hatte? Ich biss die Zähne zusammen, damit mir keine dieser Fragen aus dem Mund purzeln konnte.
    David hob die Hand an die Stirn und rieb sie. Die Platzwunde dort sah übel aus. Ich vermutete, dass er noch immer Kopfschmerzen hatte. »Möglich«, sagte er, wirkte aber nicht überzeugt.
    Ich nahm seine Hand und küsste sie. »David! Taylor ist tot! Ihre Leiche wurde gefunden und beerdigt. Wir finden auch noch die letzten Lautsprecher und dann ist es vorbei!«
    Doch er schüttelte den Kopf. Etwas lag in seinem Blick, etwas Hoffnungsloses, dass ich ihn am liebsten gepackt und geschüttelt hätte. Er sah aus, als glaube er mir nicht. Nein,

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