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Herz aus Glas (German Edition)

Herz aus Glas (German Edition)

Titel: Herz aus Glas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Schloss.
    »Tja«, murmelte ich. »Und nun?«
    Davids Blick ruhte auf mir wie ein Gewicht. »Komm mit«, sagte er kühl, wandte sich ab und verschwand in einem Gang, der links von der Halle abging. Hilflos und ein wenig wütend über seine Unhöflichkeit stolperte ich hinter ihm her. Die Stelle an meinem Oberarm, wo er mich eben festgehalten hatte, schmerzte leicht.
    David führte mich in einen großen, lichtdurchfluteten Raum, der mit seinen zwei über Eck liegenden, bodentiefen Fensterreihen mehr wie ein Wintergarten aussah als wie ein Esszimmer. Durch die Scheiben konnte ich einen leicht abschüssigen Rasen sehen, ein Stück eines Swimmingpools, in dem jetzt im Winter natürlich kein Wasser war, und hinter ein paar Büschen ein Nebengebäude, das einer modernen Westernranch ähnelte.
    Auch in diesem Raum konnte ich keine Weihnachtsdekoration entdecken. In diesem Haus hätte man glatt vergessen können, was für ein Monat war, wären nicht schwere graue Wolken über den Himmel getrieben, die Schnee versprachen. Ein riesiger Tisch war mit teuer aussehendem Porzellan eingedeckt. Es roch schwach nach frischen Waffeln und Kaffee. Und nach dem Salz des Meeres, dessen Geruch durch ein offen stehendes Fenster zu uns hereinwehte.
    Es war eiskalt in dem Raum.
    »Hu!«, rutschte es mir heraus.
    David marschierte zu dem Fenster und schloss es, dabei fiel mein Blick wieder auf den Umschlag in seiner Tasche. Bevor ich ihn jedoch danach fragen konnte, wandte er sich zu mir um. »Möchtest du dich schon einmal setzen?« Seine Stimme war so neutral wie die eines englischen Butlers. Wäre er nicht in Jeans und Rolli gewesen, hätte ich ihn am liebsten James genannt.
    Ich biss mir auf die Lippe. Du und deine unbekümmerte Art, hörte ich meinen Vater sagen. Vielleicht könnt ihr David ein bisschen aufmuntern. Er hatte das auf der Fahrt hierher mindestens dreihundert Mal gesagt. Blöd nur, dass ich meine unbekümmerte Art offenbar zu Hause in Boston vergessen hatte. Meine Arme und Beine fühlten sich an wie aus Treibholz. Als David mir allen Ernstes einen Stuhl unter dem Tisch hervorzog und darauf wartete, dass ich mich setzte, versuchte ich, ein hysterisches Kichern zu unterdrücken. So vorsichtig wie möglich ließ ich mich auf der Stuhlkante nieder. Wie albern! Das Kichern platzte heraus, ohne dass ich es verhindern konnte.
    »Was ist so lustig?«, fragte David. Er lehnte sich gegen die Anrichte, auf der eine Kaffeekanne und mehrere abgedeckte Platten standen. Offenbar spürte er dabei den Umschlag in seiner Tasche, seine Hand wanderte ganz kurz dorthin und ein Muskel unter seinem rechten Auge zuckte.
    Ich presste die Lippen zusammen. »Nichts. Entschuldige! Ich fühle mich gerade nur so, als sei ich hier zufällig unten am Strand angeschwemmt worden.«
    Davids Blick ruhte auf mir. Seine Augäpfel waren jetzt noch roter. Ob er seit Charlies Tod wirklich noch kein einziges Mal geweint hatte? Ich konnte mir unmöglich vorstellen, wie sich das anfühlen mochte. Ich war extrem nah am Wasser gebaut – ebenso schnell, wie ich in haltloses Lachen ausbrechen konnte, konnte ich auch anfangen zu heulen.
    »Verstehe.« Sein Kehlkopf bewegte sich ruckartig auf und ab.
    »Oh. Tatsächlich?« Ich nickte mechanisch. Und warum bist du trotzdem so wortkarg?, dachte ich ein wenig verärgert. Immerhin war sein stilles und trotzdem irgendwie ruppiges Verhalten schuld daran, dass ich überhaupt nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte.
    Davids rechter Mundwinkel zuckte und ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. War das etwa die Andeutung eines Lächelns gewesen? Ich war mir nicht sicher, denn zu schnell war es wieder verschwunden. Eins war jedoch klar: Wenn er tatsächlich gelächelt hatte, dann nur, weil ich mich hier zum kompletten Idioten machte!
    »Scheiße«, rutschte es mir heraus. Ich ließ den Kopf hängen. »Entschuldigung.« In dieser mondänen Umgebung war ein solches Wort mehr als unpassend. Ich beschloss, zu dem einzigen Mittel zu greifen, das bei mir half, wenn ich dabei war, mich zum Trottel zu machen: absolute Ehrlichkeit. »Es ist nur so«, sagte ich, »dass ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll. Sie wollen, dass ich dich aufmuntere, aber ich …«
    »Schon gut!« Seine Stimme klang plötzlich sehr scharf.
    Ich zuckte zusammen, klappte den Mund zu. Und hätte mich beinahe schon wieder entschuldigt.
    »Versuchen wir beide einfach, das Ganze so elegant wie möglich hinter uns zu bringen«, schlug David vor. Er hatte

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