Herz aus Glas (German Edition)
Herrenhaus, als sei der Teufel hinter mir her.
Obwohl ich rannte, brauchte ich für den Rückweg fast doppelt so lange wie für den Hinweg, denn auf halber Strecke wurde mir so schwindelig, dass ich anhalten musste. Der Boden unter meinen Füßen bockte wie ein Schiff bei Orkan, ich sank auf die Knie, um nicht der Länge nach hinzuschlagen. Etwas saß in meinem Kopf, ein Nebel, der sich über meinen Verstand legte, mich einhüllte, wie in der Nacht schon einmal.
Es dauerte einige Minuten, doch dann ging es mir übergangslos wieder besser. Vorsichtig stand ich auf und setzte meinen Weg – langsamer als zuvor – fort.
Als ich den Parkplatz von Sorrow erreichte, hatte ich wieder alle Sinne beisammen. Ein Pick-up irgendeiner Müllbeseitigungsfirma stand vor dem Haus und zwei Männer in schneeweißen Overalls luden die zertrümmerten Reste von Davids Klavier auf. Hatten die etwa die ganze Zeit in seinem Zimmer gestanden?
Ich marschierte an den Männern vorbei auf den Hauseingang zu und grüßte ohne Worte. Sie reagierten gelassen. Einer nickte mir zu, der andere tippte sich mit dem Zeigefinger an den Schirm seines Basecaps und murmelte: »Miss!«
Wahrscheinlich waren sie den Umgang mit zickigen Töchtern reicher Inselbewohner gewohnt.
Ich war erfüllt von einer Unruhe, die mich ganz zappelig machte. Gewöhnlich ging ich laufen, wenn das der Fall war, aber nach dem, was auf der Klippe passiert war, hatte ich nicht das Bedürfnis, heute noch einmal allein hinauszugehen.
Aber ich musste mich dringend auspowern.
Sorrow besaß – ebenso wie das Haus von Zac Gontermans Vater – einen Indoor-Swimmingpool. Und ebenso wie dort erreichte man ihn durch die Tür mit dem Messingdelfin. Ich beschloss also, ein bisschen schwimmen zu gehen. Taylors Badeanzug hatte ich noch in meinem Appartement. Ich brauchte nur ein paar Minuten, um mich umzuziehen und eingehüllt in einen flauschigen Bademantel und mit einem Handtuch über der Schulter zurück ins Haupthaus zu gehen.
Der Poolbereich von Sorrow war wesentlich kleiner als der in Zacs Haus, aber nicht weniger mondän eingerichtet. Man sah, dass dieser Bereich nachträglich ausgebaut worden war. Ende des 19. Jahrhunderts, als man das Herrenhaus errichtet hatte, war offenbar niemand auf die Idee gekommen, dass man ein Schwimmbad brauchen konnte.
Die Fliesen des Beckens hatten eine leuchtend blaue Farbe, ebenso die Säulen, die die Decke hielten. Bis auf eine Art Skulptur, die von Efeu umrankt war, gab es hier keinerlei Grünzeug. Dafür waren in die Decke bestimmt hundert kleine Strahler eingelassen, die aussahen wie ein Sternenhimmel. Ich glaubte, sogar einige Sternbilder zu erkennen.
Schnell zog ich meinen Bademantel aus, legte ihn über eine Liege am Beckenrand und glitt ins Wasser. Es war angenehm kühl – genau richtig, um Bahnen zu ziehen. Ich kraulte ein paar Mal mit hoher Geschwindigkeit hin und her, bis meine Muskeln sich angenehm warm anfühlten, dann drosselte ich das Tempo ein wenig und verfiel in einen gleichmäßigen Rhythmus, der gewöhnlich richtig war, um meinen Kopf zu leeren.
Bei einer Wende hörte ich, wie die Hallentür klappte. Ich hielt inne, griff nach dem Beckenrand und drehte mich um, um zu sehen, wer gekommen war.
Es war David. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Bademantel überzuwerfen, aber er musste ja auch nicht erst vom Gästehaus herüberkommen und durch die Dezemberkälte. Seine schwarze Badehose hob sich deutlich von seiner blassen Haut ab. Das Tattoo auf seinen Rippen zog meinen Blick magisch an, noch mehr jedoch der große blaue Fleck, der direkt daneben prangte. Henry hatte ihn offenbar noch weitaus härter getroffen, als ich gedacht hatte.
»Oh!«, machte David, als er mich entdeckte. »Ich wusste nicht, dass du hier bist.«
Ich wischte mir die nassen Haare aus der Stirn. »Mir war es zu kalt zum Laufen.«
Er wies in Richtung Tür. »Soll ich wieder …«
»Nein, nein! Schon gut!« Ich grinste ihn an. »Ist ja schließlich euer Pool, nicht meiner.«
Er trat an den Beckenrand. Ich konnte den Blick nicht von der Prellung lassen. Einige Sekunden lang stand er da, den Kopf leicht schief gelegt, als lausche er auf eine Stimme, die nur er hören konnte. Dann hechtete er mit einem Kopfsprung ins Wasser und begann ebenfalls, Bahnen zu ziehen.
Ich stieß mich vom Rand ab und schwamm weiter. Durch Davids Auftauchen hatte ich vergessen, wie viele Bahnen ich schon hinter mir hatte, aber das war mir egal. Obwohl wir jeder für sich
Weitere Kostenlose Bücher